Tagespresse 23.04.2014 www.die-glocke.de
Aus ethischen Gründen Im Münsterland entsteht erste jagdfreie Zone
Münster (dpa). Als einer der ersten Grundstücksbesitzer in Nordrhein-Westfalen hat André Hölscher (39) seine zehn Hektar Land in Ladbergen (Kreis Steinfurt) zur jagdfreien Zone erklärt – aus ethischen Gründen. Seitdem darf auf Hölschers Anwesen nördlich von Münster niemand mehr jagen. Und das mit Erlaubnis der Behörden.
Ein neuer Paragraph im Bundesjagdgesetz erlaubt es Grundstückseigentümern, die Jagd auf ihrem Land abzulehnen. Bisher mussten Landbesitzer wie Hölscher die Jagd auf ihrem Gelände auch dulden, wenn sie Skrupel hatten. Wer ein Grundstück von weniger als 75 Hektar Fläche besitzt, wird automatisch Mitglied einer Jagdgenossenschaft, erklärt Torsten Reinwald vom Deutschen Jagdverband. Die Genossenschaft ist der Zwangsverbund der betroffenen Landbesitzer. Sie können selbst auf die Jagd gehen oder ihr Gebiet an Pächter vergeben.
Ein Mitglied der Genossenschaft konnte bislang sein Grundstück von der Jagd nicht ausnehmen. Auch nicht aus ethischen Gründen. Das ist jetzt anders. Ein Anwalt aus Baden-Württemberg hatte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geklagt und Recht bekommen. Die Richter erklärten die Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft für menschenrechtswidrig. Die Gesetzespflicht, entgegen ethischen Bedenken die Jagd auf dem eigenen Land zu dulden, sei eine unverhältnismäßige Belastung, urteilte der EGMR. Deutschland musste als Konsequenz das Bundesjagdgesetz anpassen.
„Es ist unvertretbar, dass sich der Mensch als eine Spezies von vielen das Recht nimmt, über Leben und Sterben anderer zu entscheiden“, sagt Hölscher, der als Kabarettist sein Geld verdient. „Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass auf meinem Grundstück Tiere getötet werden.“
Bei Treffen seiner Jagdgenossenschaft wollte niemand mehr neben ihm sitzen, sagt Hölscher. „Viele haben mich angegiftet und gefragt, warum ich mich denn so aufspielen würde.“
Die Antwort des Landesjagdverbandes klingt so: „Jeder Austritt aus der Gemeinschaft stellt einen nur schwer zu ertragenden Akt der Entsolidarisierung dar.“
Für Jäger ein „zu vernachlässigendes Phänomen“
Münster/Bielefeld (dpa). Seit Dezember 2013 ist der neue Paragraph 6a des Bundesjagdgesetzes in Kraft. Wer die Behörden überzeugt, dass er aus ethischen Gründen die Jagd ablehnt, hat nun die Möglichkeit, sein Grundstück jagdfrei zu stellen. Hans-Jürgen Thies vom Landesjagdverband (LJV) schätzt die Zahl der bisherigen Anträge in NRW auf etwa 150. Eine Umfrage in zehn Städten und Kreisen ergab, dass nur der Kreis Steinfurt bereits Anträge bewilligt hat. In Düsseldorf und im Rhein-Sieg-Kreis liegt jeweils ein Antrag vor, in Bielefeld, Wuppertal und im Kreis Mettmann sind je zwei Anträge in Bearbeitung. Der einzige Antrag, der in Münster gestellt wurde, stammte von Naturschützern – und wurde abgelehnt.
Dass Jagdreviere von größerem Umfang wegfallen werden, befürchten die Jäger nicht. „Die ethische Grundstücksbefriedung dürfte ein eher zu vernachlässigendes Phänomen in Einzelfällen bleiben“, sagt LJV-Justiziar Thies. Rechtsanwalt Dominik Storr aus Rheinland-Pfalz sieht das anders. Er hat bundesweit bereits 60 Anträge begleitet.
80 000 Jäger gehen in den Revieren zwischen Rhein und Weser auf die Pirsch, etwa zehn Prozent davon sind Frauen, sagt Andreas Schneider vom LJV. Rehe, Hasen und Ringeltauben sind nach Auskunft des Experten charakteristische Wildarten für NRW.
Wer selbst jagen möchte, muss eine Jägerprüfung ablegen und bei der kommunalen Jagdbehörde gegen Gebühr einen Jagdschein beantragen. Da das Jagdrecht stets dem Landbesitzer zusteht, pachten Jäger ohne eigene Fläche das Ausübungsrecht.
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