J
Jagdscheininhaber
Guest
Horrido liebe Jagdgenossen,
ich bin kürzlich in eine nicht so seltene Situation geraten, in der ich persönlich sprichwörtlich zwischen Pest und Cholera zu wählen hatte. Ein erfahrener Jäger hätte da sicher ziemlich souverän und selbstverständlich gehandelt.
Ich bin allerdings absoluter Jungjäger, nur ein Jagdscheininhaber, nichts weiter, habe also weder auch nur ein Stück Wild gestreckt, noch habe ich jemals meine Büchse außerhalb eines Schießstandes abgefeuert.
Ich folge also frühmorgens in der Dunkelheit meiner allerersten Ansitzjagdeinladung, als ich an einem Ortsrand an dem obligatorischen Wildunfall vorbeikomme.
Ein Lieferwagen steht an der Straße, der Fahrer ist relativ entspannt und leuchtet mit der Taschenlampe auf das danierderliegende Stück Rehwild.
Ich halte an, steige aus und begrüße ihn mit "Na, da kommt der Jäger ja gerade richtig" und bereue diesen Satz schon im gleichen Moment, da mein sonstiger Tatendrang zu helfen,
hier mich vor eine Reihe von Problemen stellen könnte. Wir schauen uns das Stück zusammen an, es liegt auf der Seite und zu allem Übel atmet es noch, gibt aber keinen Laut von sich.
Ich gehe zurück zum Wagen, packe meine Büchse aus und dann kommen massive Zweifel:
1. Leidet das Wild gerade wirklich so stark, dass das Eintreffen der Polizei inkl. JAB nicht abgewartet werden kann?
2. Meine Büchse ist ein für mich noch extrem respektflößend starker FR-8 Karabiner mit 308 Win. Will ich jetzt wirklich aus 5m Entfernung mit 4000Bar ein Zerlegungsgeschoss auf das Stück feuern?
3. Was passiert dann? Splitter? Unkontrollierter Kugelriss, der mir die Augen oder sonstwas/wen verletzt?
4. Treffe ich überhaupt mit dem dicken 3-12x50 ZF drauf auf dem kurzen Stück? Da erkenne ich doch nicht mal was!
5. Will ich jetzt um 4:50 Uhr morgens einen Schussknall verursachen, der alle Bewohner der 50m weiter liegenden Ortschaft aus den Betten wirft? Was werden die tun?
6. Ist das hier nicht vielleicht sogar noch befriedeter Bezirk mit Gefahr für Leib und Leben von Anwohnern?
7. Was ist, wenn der zuständige JAB ein Stinkstiefel ist, sich auf dem Schlips getreten fühlt und ich mich anschließend vor Gericht wiederfinde?
8. Ich bin nur theoretisch ausgebildet worden, Fangschüsse abzugeben, eine Kurzwaffe besitze ich nicht.
9. Ich bin nur theoretisch bis gar nicht ausgebildet worden, mit der blanken Waffe (die ich dabeihatte) abzufangen, weil das macht man ja nicht.
10. Ich bin gar nicht ausgebildet worden, wie ich mich in solchen Situationen zu verhalten habe, wenn ich nicht dahingerufen werde sondern zufällig vor Ort bin, in einem fremdem Revier.
11. Ich vollbringe mit hoher Wahrscheinlichkeit eine strafbare Handlung, wenn ich hier jetzt meine Waffe raushole. Es fühlt sich falsch an! Versaue ich hier gerade meine Zukunft für ein Stück Wild, das ein anderer umgekarrt hat und das jetzt ruhig im Wundbett liegt? Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht sagt man doch!?
12. Wenn ich den Finger krumm gemacht habe, ist das endgültig und ich habe dafür geradezustehen.
13. Handeln und anschließend die Pest am Hals? Ignorieren, weiterfahren und Cholera kriegen?
Ich zögerte folglich. Ich sagte dem Fahrer, er soll die Polizei rufen (was er ja sowieso tun muss) und sich erkundigen, wer der JAB ist. Gesagt, getan. Die Pol sagte, sie kommen vorbei und bringen den Jäger gleich mit.
Sagten aber nicht, wie lange sie brauchen werden.
Dann müdet plötzlich das Stück auf und humpelt in einen Knick und ich werde blass. Hätte ich trotz aller Zweifel schießen sollen?
Ich darf das Wild nicht leiden lassen. OK, aber wenn ein Jäger ein Stück Wild krankschießt, soll die Nachsuche erst nach ein oder zwei Stunden beginnen, wenn nicht gar am nächsten Tag, so wurde es mir beigebracht.
Was spielen dann hier 20 Minuten mehr oder weniger eine Rolle, die mich unter Umständen die nächsten Monate nicht mehr ruhig schlafen lassen, weil ich durch meinen Übereifer nun alle möglichen Probleme am Hals habe?
Das Stück tat sich aber nur wenige Meter etwas geschützt wieder nieder und verblieb dort.
Mein Rechtskundelehrer sagte einmal: Schieß nur, wenn du 100% sicher bist. Ich war nicht mal zu 20% sicher und vor allem durch meine Furcht vor rechtlichen Konsequenzen war ich völlig überfordert.
Ich fühlte mich wie ein Medizinstudent, der bei einem Praktikum plötzlich eine Herz-OP durchführen soll.
Ich sagte dem Fahrer, er solle dem Stück fernbleiben um es nicht weiter zu beunruhigen und warten, bis die Offiziellen kommen.
Ich packte meine Büchse wieder ins Futteral und fuhr weg.
Ich habe mich hier inzwischen soweit belesen, dass ich weiß, dass ich hätte handeln dürfen, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen, auch wenn es immer noch etwas
Auslegungssache ist, es keine klare Gesetzgebung zu diesem nicht ungewöhnlichen Fall gibt, die da sagt: Du darfst, du kannst und du sollst.
Nebenbei bemerkt: In meiner schriftlichen Prüfung gab es eine Frage: Darf ich meinen vom Keiler hoffnungslos verletzten Jagdhund erlösen oder nicht? Wenn die Prüfungskommission
sich vielleicht mal Gedanken machen würde, dass es sinnvoll ist, den Prüflingen auch die richtige Antwort später zukommen zu lassen, hätte mir das in dieser Situation schon mal weitergeholfen.
Selbst in der Nachbesprechung mit den Ausbildern konnte diese Frage nicht zuverlässig geklärt werden.
Ja, aus Tierschutzgründen
Ja, weil außergesetzlicher Notstand
Nein, weil kein Jagdbares Wild ("Wolfsurteil"!!!)
Ihr dürft jetzt über mich richten, ich bin auf alles gefasst. :-(
Ein bedrücktes Weidmannsheil vom
Jagdscheininhaber
ich bin kürzlich in eine nicht so seltene Situation geraten, in der ich persönlich sprichwörtlich zwischen Pest und Cholera zu wählen hatte. Ein erfahrener Jäger hätte da sicher ziemlich souverän und selbstverständlich gehandelt.
Ich bin allerdings absoluter Jungjäger, nur ein Jagdscheininhaber, nichts weiter, habe also weder auch nur ein Stück Wild gestreckt, noch habe ich jemals meine Büchse außerhalb eines Schießstandes abgefeuert.
Ich folge also frühmorgens in der Dunkelheit meiner allerersten Ansitzjagdeinladung, als ich an einem Ortsrand an dem obligatorischen Wildunfall vorbeikomme.
Ein Lieferwagen steht an der Straße, der Fahrer ist relativ entspannt und leuchtet mit der Taschenlampe auf das danierderliegende Stück Rehwild.
Ich halte an, steige aus und begrüße ihn mit "Na, da kommt der Jäger ja gerade richtig" und bereue diesen Satz schon im gleichen Moment, da mein sonstiger Tatendrang zu helfen,
hier mich vor eine Reihe von Problemen stellen könnte. Wir schauen uns das Stück zusammen an, es liegt auf der Seite und zu allem Übel atmet es noch, gibt aber keinen Laut von sich.
Ich gehe zurück zum Wagen, packe meine Büchse aus und dann kommen massive Zweifel:
1. Leidet das Wild gerade wirklich so stark, dass das Eintreffen der Polizei inkl. JAB nicht abgewartet werden kann?
2. Meine Büchse ist ein für mich noch extrem respektflößend starker FR-8 Karabiner mit 308 Win. Will ich jetzt wirklich aus 5m Entfernung mit 4000Bar ein Zerlegungsgeschoss auf das Stück feuern?
3. Was passiert dann? Splitter? Unkontrollierter Kugelriss, der mir die Augen oder sonstwas/wen verletzt?
4. Treffe ich überhaupt mit dem dicken 3-12x50 ZF drauf auf dem kurzen Stück? Da erkenne ich doch nicht mal was!
5. Will ich jetzt um 4:50 Uhr morgens einen Schussknall verursachen, der alle Bewohner der 50m weiter liegenden Ortschaft aus den Betten wirft? Was werden die tun?
6. Ist das hier nicht vielleicht sogar noch befriedeter Bezirk mit Gefahr für Leib und Leben von Anwohnern?
7. Was ist, wenn der zuständige JAB ein Stinkstiefel ist, sich auf dem Schlips getreten fühlt und ich mich anschließend vor Gericht wiederfinde?
8. Ich bin nur theoretisch ausgebildet worden, Fangschüsse abzugeben, eine Kurzwaffe besitze ich nicht.
9. Ich bin nur theoretisch bis gar nicht ausgebildet worden, mit der blanken Waffe (die ich dabeihatte) abzufangen, weil das macht man ja nicht.
10. Ich bin gar nicht ausgebildet worden, wie ich mich in solchen Situationen zu verhalten habe, wenn ich nicht dahingerufen werde sondern zufällig vor Ort bin, in einem fremdem Revier.
11. Ich vollbringe mit hoher Wahrscheinlichkeit eine strafbare Handlung, wenn ich hier jetzt meine Waffe raushole. Es fühlt sich falsch an! Versaue ich hier gerade meine Zukunft für ein Stück Wild, das ein anderer umgekarrt hat und das jetzt ruhig im Wundbett liegt? Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht sagt man doch!?
12. Wenn ich den Finger krumm gemacht habe, ist das endgültig und ich habe dafür geradezustehen.
13. Handeln und anschließend die Pest am Hals? Ignorieren, weiterfahren und Cholera kriegen?
Ich zögerte folglich. Ich sagte dem Fahrer, er soll die Polizei rufen (was er ja sowieso tun muss) und sich erkundigen, wer der JAB ist. Gesagt, getan. Die Pol sagte, sie kommen vorbei und bringen den Jäger gleich mit.
Sagten aber nicht, wie lange sie brauchen werden.
Dann müdet plötzlich das Stück auf und humpelt in einen Knick und ich werde blass. Hätte ich trotz aller Zweifel schießen sollen?
Ich darf das Wild nicht leiden lassen. OK, aber wenn ein Jäger ein Stück Wild krankschießt, soll die Nachsuche erst nach ein oder zwei Stunden beginnen, wenn nicht gar am nächsten Tag, so wurde es mir beigebracht.
Was spielen dann hier 20 Minuten mehr oder weniger eine Rolle, die mich unter Umständen die nächsten Monate nicht mehr ruhig schlafen lassen, weil ich durch meinen Übereifer nun alle möglichen Probleme am Hals habe?
Das Stück tat sich aber nur wenige Meter etwas geschützt wieder nieder und verblieb dort.
Mein Rechtskundelehrer sagte einmal: Schieß nur, wenn du 100% sicher bist. Ich war nicht mal zu 20% sicher und vor allem durch meine Furcht vor rechtlichen Konsequenzen war ich völlig überfordert.
Ich fühlte mich wie ein Medizinstudent, der bei einem Praktikum plötzlich eine Herz-OP durchführen soll.
Ich sagte dem Fahrer, er solle dem Stück fernbleiben um es nicht weiter zu beunruhigen und warten, bis die Offiziellen kommen.
Ich packte meine Büchse wieder ins Futteral und fuhr weg.
Ich habe mich hier inzwischen soweit belesen, dass ich weiß, dass ich hätte handeln dürfen, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen, auch wenn es immer noch etwas
Auslegungssache ist, es keine klare Gesetzgebung zu diesem nicht ungewöhnlichen Fall gibt, die da sagt: Du darfst, du kannst und du sollst.
Nebenbei bemerkt: In meiner schriftlichen Prüfung gab es eine Frage: Darf ich meinen vom Keiler hoffnungslos verletzten Jagdhund erlösen oder nicht? Wenn die Prüfungskommission
sich vielleicht mal Gedanken machen würde, dass es sinnvoll ist, den Prüflingen auch die richtige Antwort später zukommen zu lassen, hätte mir das in dieser Situation schon mal weitergeholfen.
Selbst in der Nachbesprechung mit den Ausbildern konnte diese Frage nicht zuverlässig geklärt werden.
Ja, aus Tierschutzgründen
Ja, weil außergesetzlicher Notstand
Nein, weil kein Jagdbares Wild ("Wolfsurteil"!!!)
Ihr dürft jetzt über mich richten, ich bin auf alles gefasst. :-(
Ein bedrücktes Weidmannsheil vom
Jagdscheininhaber