Um wiedermal auf Biotopkapazität und "Pendelrehe" zurück zu kommen:
Der Rehwildbestand ist vielerorts deutlich höher als er von Grundbesitzern und Jägern angeschätzt wird, der Zuwachs wird in der überwiegenden Zahl der Reviere nicht abgeschöpft. Wäre dem nicht so, würde die landesweite Rehwildstrecke nicht immer weitere Rekordergebnisse liefern. Dies hat verschiedene Ursachen: es ist davon auszugehen, dass seit Jahren die Biotopkapazität stetig ansteigt, sonst wäre diese Strecken und Bestandesentwicklung nicht möglich.
Die Biotopkapazität wird meistens durch einen limitierenden Faktor nach oben begrenzt. Das kann Äsung sein, dass kann Deckung sein, das kann Predation sein, es kann die Witterung sein, die ggf. Einfluss auf die Reproduktionsrate hat. Andere Faktoren sind auch noch möglich.
Die Witterung ist nur bedingt tauglich, da sie überwiegend Einfluss auf die Reproduktion hat und damit nur den Zuwachs bremst. die Steigerung kann dann in Jahren mit günstiger Witterung wieder "normal" weitergehen, somit hat die Witterung nur vorübergehend Einfluss, es sei denn sie bewirkt, dass die Äsung/Deckung dauerhaft nachteilig verändert wird. Änderungen in der Witterung (bzw. langfristig Klimaänderung) können aber auch mittel bis langfristig eher zu einer Erhöhung der Biotopkapzität führen. Bzgl. der gegenwärtigen Klimaerwärmung müssen wir davon ausgehen, dass diese Schwarz- und Rehwild mittelfristig eher begünstigt.
Wie beschrieben haben verschiedene Faktoren Einfluss auf die Biotopkapazität des Rehwildes. entscheidend für die Rehwildpopulation ist der eine limitierende Faktor. In vergangen Jahrzehnten war dies vermutlich der Winterbedingte Flaschenhals mit reduziertem Nahrungsangebot. Der hat sich wohl in den vergangenen Jahrzehnten am deutlichsten gewandelt. Lange frostige schneereiche Winter gibt es kaum mehr. Die Winteräsung im Wald (Felder waren früher im Winter auch deutlich äsungsärmer) hat deutlich zugenommen. Kalamitätsflächen, stärkere Durchforstungen, hoher Stickstoffeintrag aus der Luft, Naturverjüngungsbetriebe, alles das bringt ein deutlich höheres Nahrungsangebot als es früher im Wald zu finden war. Der Raps ist erst durch das Rauszüchten der Bitterstoffe als Winteräsung interessant geworden, Gründüngung mit Senf etc. gab es nicht.
Betrachtet man den Stoffwechsel der Rehe, dann ist der im Sommer am höchsten. In Urwälder (die wir nicht haben) kann es durchaus passieren, dass das Rehwild im Sommer zusätzlich eine knappe Nahrungsversorgung erleidet, weil zwar mehr Nahrung vorhanden ist, aber eben der Bedarf deutlich höher ist. Die Anzahl der befruchteten Eizellen korreliert mit der Kondition der Geißen in der Brunft. Die Rehe bei uns haben überwiegend die Möglichkeit, im Sommer genügend energiereiche Nahrung auf landwirtschaftlichen Flächen zu finden. Die folge sind höhre Kitzzahlen im folgenden Frühjahr.
Jetzt zu den Pendelrehen: Würde man dem Rehwild im Wald konsequent den Zugang zu den landwirtschaftlichen Flächen verwehren und den Rehen im Feld konsequent den Zugang zum Wald, wäre die Rehwildpopulation insgesamt deutlich niedriger als sie gegenwärtig ist. Da der sommerliche Flaschenhals (Äsungsmangel) im Vergleich zum Urwald wegfällt, wird der winterliche Äsungsmangel zum limitierenden Faktor. Bis der allerdings greift, leidet der Wald deutlich unter dem hohen Verbiss. Dadurch verschwinden präferierte Baumarten aus der Naturverjüngung.
Wie schon beschrieben und zumindest in der Studie aus NRW nachgewiesen, ist gegenwärtig die Jagd (Predation) nicht der limitierende Faktor
für das Rehwild, sollte es aber sein.
Regional kam im vergangen Jahr ein neuer Flaschenhals hinzu: Die Trockenheit hat zumindest bei mir zu einem Verenden von vielen Kitzen geführt. 2018 habe ich mehrere mittelalte und alte Böcke gefunden, die eingegangen waren, ebenfalls ein sehr trockenes Jahr. Dies würde der Natur und insbesondere der Waldverjüngung helfen, wenn, ja wenn nicht die Jäger gleich wieder mit dem Wassertank ins Revier fahren würden um dem armen notleidenden Rehwild unter die Arme zu greifen.