Gestern abend...

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...in meinem westschwedischen Revierchen.


Sohnemann Erik - der heute seinen 9. Geburtstag feiert - hatte den Wunsch geäussert, mal wieder zur Rehjagd mitzugehen. Da hier gestern endlich die Bockjagd aufging und das Wetter schön war, stand der Erfüllung seines Wunsches nichts im Weg.


An der Nordseite der revierzerschneidenden Schnellstrasse (zum Glück mit hohem Wildzaun!) habe ich eine überdachte Kanzel, wo ich vor einigen Tagen ein paar Falläpfel aus Nachbars Garten ausgebracht hatte. Der Wind passte. Also nach der Arbeit nach Hause, gemütlich den Rucksack gepackt: was zum Essen, zum Trinken, zum Lesen, ein Extrafernglas für den Junior, Entfernungsmesser, Sitzkissen, Bergehilfe und Messer. Was fehlt noch? Ach ja, der Drilling, Munition und Hund. Her damit, schnell noch in Schale geworfen, Erik auch - die Jagdjacke vom Vorjahr passt ihm noch - Stiefel angezogen und um 19 Uhr brachen wir auf. Sind ja nur 7km hin, die sind in kaum 10 Minuten geschafft. Schnell auf die Kanzel, wobei wir die Geräuschkulisse der Strasse und des Bauern ausnutzen, der auf der anderen Seite der Schnellstrasse den letzten Rest des grossen Weizenfeldes drischt. Ich erkläre Erik noch, dass der Mähdrescher ein ungewohntes Geräusch erzeugt, und dass wohl nichts kommt solange er noch da ist. So ist es auch, aber nach kaum 20 Minuten ist der Bauer fertig und verschwindet hinter der Hügelkuppe in einer Staubwolke.


Tausend Fragen dreschen derweil meine Ohren mürbe, bis ich Erik das Mundwerk mit dem mitgebrachten Vesper stopfe. Mohrrübe und Apfel werden verzehrt und das Butterbrot angefangen, da sehe ich im hohen Gras, kaum 40 Meter vor der Kanzel einen roten Fleck. Reh! Genau da wo ich im letzten Jahr einen starken Bock streckte! Ist aber keiner, trotz intensiver Begutachtung durch das 15fache Glas ist und bleibt es ein strammes Schmalreh und somit noch bis Oktober tabu, da ihm in den paar Minuten absolut kein Gehörn wachsen will, auch nicht die kleinsten Knöpfe. Also zurück zum Butterbrot, aber Erik kam kaum zum Abbeissen, da war schon wieder was los. Ganz rechts am Waldrand, gute 150m weg, ein Fuchs! Hm, wenn der näher kommt, dann schnalzt es! Aber er tut uns nicht den Gefallen und ist nach ein paar Minuten wieder im Wald verschwunden.


Von der Kanzel aus kann man rechts und links jeweils gute 150 Meter Waldrand überblicken. Rehwild kann überall kommen, was beim ansitzenden Jäger zwangsläufig ein gewisses Wackeldackelverhalten erzeugt. Das Schmalreh war rechts erschienen und wieder im hohen Gras verschwunden, also pendelt der Kopf wieder von rechts nach liiiiiiiiinks - da reisst's mich zusammen! Noch ein Reh kommt von links auf gute 100m am Waldrand entlanggetrabt, schnurstracks auf die ausgelegten Äpfel zu! Und was für ein Klotz! Das Glas bringt die Bestätigung: ein Trumm von einem Bock mit einem gewaltigen Gehörn, keine allzuweite Auslage, aber immens hohe Stangen und zwischen den Lauschern alles voll! Da gibt es kein langes Zaudern, so einen Bock kriegt man nicht oft im Leben vor! Rauf mit dem Drilling auf die Kanzelbrüstung, Erik klemmt sich noch schnell den Gehörschutz auf, entsichern und einstechen! Der Bock steht spitz von vorne, so will ich lieber nicht schiessen sonst hab ich nachher Reh in grüner Sosse als Hauptgericht. Aber endlich stellt er sich breit, das Absehen steht auf dem Blatt und es kracht! Der Bock ruckt vorne zusammen und stürmt in den Wald, müsste also eine gute Kugel haben, zumal die Entfernung nicht viel mehr als 70m betrug!


Also erst mal ein "high five" mit dem Sohnemann, dem ich schon erklärt hatte, dass es sich um einen Ausnahmebock handelte. Nun soll erstmal das Butterbrot fertig geatzt werden; da keiner von uns beiden raucht, muss die "Zigarettenpause" anderweitig genutzt werden. Ich beobachte derweil weiter den Waldrand. Nur ein paar Minuten später ist aber der Fuchs schon wieder da, und scheint auch ein wenig näher gekommen zu sein! Jetzt gibt es keinen Pardon! Meister Reineke bleibt beim Mausen kurz stehen und die 7x65R weht ihn in die Weizenstoppeln! Noch ein-zweimal sehen wir die Rute schlagen, dann ist alles still.


Das Butterbrot ist nun endlich verzehrt, der Rucksack gepackt und wir baumen ab. Erst mal zum Anschuss - auf den Äpfeln leuchtet es hellrot und ich erkläre Erik, dass die hellen Stückchen dazwischen von der Lunge kommen und der Bock nicht weit sein kann. Die Schweissfährte ist überdeutlich und er fängt schon an zu dämmern, so dass wir auf den Hund verzichten und den steilen Hang hinab in den Wald eindringen Und nach kaum 30 Metern liegt er da, den Rücken uns zugewandt, mit lange gebrochenen Lichtern und einem sauberen Tiefblattschuss.


Grosse Freude, und ich schaue mir das Gehörn an. Donnerwetter, was für ein Bock! Mein bisher stärkster, wird bestimmt an die 400 Gramm haben! Ein ungerades Sechsergehörn mit gewaltigen Dachrosen, überreichlicher Perlung und 29cm langen Stangen hat er auf, und auch im Gebäude ist er nicht schlecht, auch wenn der Körper einem durch daas starke Gehörn gering vorkommt. Mit Pusten und Keuchen wird er den steilen Hang zum Acker heraufgezogen; jetzt holen wir das Auto. Aufbrechen; Erik freut sich, dass das Herz noch intakt ist - seine Leibspeise, die gibt es zum Geburtstag! Der Fuchs wird noch versorgt, dann geht es schnell nach Hause. Die Familie wird zusammengetrommelt und freut sich mit. Die Waage zeigt aufgebrochene 21kg - ein strammer Bock, über dem regionalen Durchschnittauch mit dem Wildpretgewicht. Jetzt aber nichts wie ab ins Bett, am nächsten Tag droht frühes Aufstehen mit Arbeit respektive Schule. Aber ein wunderschöner Abend war es!
 
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Waidmannsheil winchester, toll ein solches Erlebnis mit dem Junior zu haben. Da bei uns gerade Ferien sind hatte ich meine auch öfters dabei, leider immer ohne Anblick. Aber wir haben ja noch 1,5 Wochen.
 
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sieh an, winchester ist auch wieder mal auf besuch im forum.

weidmannsheil auch hier, ich freu mich schon wenn ich ihn zu sehen bekomme. ;-)
 
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@winchester: danke, eine sehr schöne Geschichte!
Ich glaub, für jagdlichen Nachwuchs in der Familie ist gesorgt.
 
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Waidmannsheil!! Tolles Erlebnis. Schön wenn es mal wieder geklappt hat, und dann noch mit dem Nachwuchs.
 
Y

Yumitori

Guest
@ winchester -

Moin,

auch von mir ein herzliches Waidmannsheil, gleichzeitig ein Dankeschön für einen gut geschriebenen Bericht. Schön, dass es Söhne gibt, die solche Väter haben....;-):thumbup:

Habe die Ehre und
Waidmannsheil
:cheers:
 
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Hallo winchester,

...Erik freut sich, dass das Herz noch intakt ist - seine Leibspeise, die gibt es zum Geburtstag!...

dein Junior weiß was gut ist! :):thumbup:

Auch von mir Waihei zum dicken Bock und für Sohnemann alles Gute zum Geburtstag. :)


Grüße
Sirius
 

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