Meine bescheidene, aber unerfreuliche Erfahrung mit dicken Kalibern, die schwere feste Geschosse mit niedrigen Geschwindigkeiten verschießen, ist deren häufig enger Wundkanal und insbes. bei ausbleibenden Knochentreffern oder reinen Lungendurchschüssen mangelhafte Energieabgabe. Das kann das um wenige Millimeter größere Einschussloch bei weitem nicht kompensieren und dann nützt auch die hohe Tiefenleistung wenig, wenn das Projektil weit mehr als die Hälfte seiner kinetischen Energie hinter dem Ausschuss im Gelände verteilt.
Oft habe ich den Eindruck, so wie Seamaster es andeutete, dass diese Vorliebe für dicke Kaliber, wo sie wegen überaus starkem Wild (Afrika) nicht zwingend erforderlich sind, eher mit transportierten Traumvorstellungen, ballistischem Irrglaube und vor allem Machogehabe zu tun haben, als mit tatsächlich statistisch abgesichertem Wirkungsvorteil für die meisten Jagdverhältnisse. Jedenfalls habe ich nach einigen Jahren Verwendung die 9,3x62 wieder aufgegeben, weil sie eben keine Leistungsvorteile auf heimisches Wild gegenüber z. B. .30-06 verzeichnen konnte.
Ein veritables Premiumposting von Stoeberjaeger. Kurze Anmerkung meinerseits, obwohl das aus dem Jungjägerkurs eigentlich weithin bekannt sein müsste:
Es ist in der Tat verfehlt von dickerem Geschoss auf höhere „Tötungswirkung“ zu schließen, also dem „Viel hilft viel“ und „Bigger is better“ zu huldigen. Immerhin gibt es neben der direkten Geschosswirkung auch die indirekte. Jeder Praktiker weiß um die viel höhere Bedeutung der indirekten Geschosswirkung. Sie wird stärker von der Geschossgeschwindigkeit determiniert als von Kaliber (bzw. Stempelfläche) und Geschossmasse.
Die Geschossgeschwindigkeit ist die (grundsätzlich) viel maßgeblichere Einflussgröße der Energieabgabe im Wildkörper. Je schneller das Geschoss, desto härter wird das Zielmedium, d.h. das Zielmedium setzt einem schnellen Geschoss mehr Zielwiderstand entgegen und ermöglicht somit höhere Energieabgabe, verzehrt quasi mehr Energie. Ein schnelleres Geschoss kleineren Kalibers kann also durchaus mehr Energie im Wildkörper abgeben als ein langsameres Geschoss größeren Kalibers und besser „wirken“, jedenfalls in einem nicht allzu weit gesteckten Rahmen wie bei einem Vergleich von .30-06 und 9,3x62 und bei vorausgesetzt adäquatem Geschossaufbau.
Im Zusammenhang mit der Abgabe von kinetischer Energie an den Wildkörper ist weiterhin zu bedenken, dass (sofern ich recht erinnere) die abgegebene Energiemenge proportional der
zweiten Potenz der Geschossgeschwindigkeit ist. Die Geschwindigkeit der Energieabgabe (laienhaft formuliert der an den Wildkörper abgegebene Impuls, umgangssprachlich Schock) allerdings ist proportional der
dritten Potenz der Geschossgeschwindigkeit. Man denke diese Erkenntnis im Zusammenhang mit Gewebezerstörung, temporärer Wundhöhle und dem Unterschied der Zielgeschwindigkeiten von .30-06 und 9,3x62 bitte eigenständig durch.
Fazit: Die Bedeutung des größeren Kalibers wird deutlich überbewertet. Der Einfluss eines „dickeren“ Geschosses lässt sich durch die höhere Geschwindigkeit eines „kleineren“ Geschosses leicht überkompensieren, sofern mittels Geschossmasse und Geschossaufbau die nötigen Voraussetzungen geschaffen sind. Eine .30-06 kann damit einer 9,3x62 als Brown Bear Medicine leicht ebenbürtig und unter Hinzuziehung weiterer Entscheidungsparameter sogar überlegen sein.
Elmer Keith was wrong, Jack O’Connor was right. Und übrigens auch Roy Weatherby, auch wenn dieser den Einfluss der Geschossgeschwindigkeit doch etwas zu optimistisch einschätzte.