Traditionen und Rituale werden gelebt, oft über viele Generationen, und haben einen kulturellen Hintergrund. Wenn der verloren geht oder der ursprüngliche Kontext dafür durch einen anderen Zusammenhang willkürlich ersetzt wird, dann wirken sie befremdlich und oft lächerlich. Der „letzte Bissen“ wird schnell zum makabren „Ast im Äser“ wenn das Verständnis für den Ursprung oder die mit dieser jagdlichen Praxis verbundene Wertschätzung gegenüber der erlegten Kreatur verloren geht und Schalenwild vielleicht nur noch pragmatisch als Schädling oder noch unverarbeitetes Wildbret betrachtet wird. Ebenso geht der ursprüngliche Kontext verloren, wenn man religiöse Bräuche anderer Kulturräume in unsere Sprache und unsere Wälder transponiert und zum rituellen Bestandteil einer Jagdausbildung macht. Es geht ja nicht darum, was jeder Einzelne von uns auf der Jagd für sich macht und reflektiert oder nicht. Jeder hat vielleicht seine persönliche Form und eigene, vielleicht intuitive Rituale. Und wenn es nur ein kurzes Innehalten nach dem Schuss ist oder ein moment der Stille und Sammlung vor dem ersten Pirschgang im Wald. Das Problem für mich jedenfalls beginnt da, wo öffentlich und in einer Gruppe von jagdlich unbedarften Menschen, der Sonnengruss (oder etwas anderes beliebig selbst zusammengeschustertes) als authentischer Bestandteil unserer Jagd inszeniert wird, quasi im Sinne eines Jagdrituals. Gleichzeitig werden die tatsächlichen, tradierten Jagdbräuche willkürlich verschwiegen, weil sie abgelehnt oder zumindest nicht verstanden werden. Natürlich sind nicht alle unsere originären Jagdbräuche per se sinnvoll oder heute praktikabel und nachahmenswert. Aber man sollte sie in einer guten Jagdausbildung kennengelernt haben, um sich eine Meinung darüber zu bilden und den Hintergrund dessen zu verstehen, was man lebt und ausübt oder eben bewusst nicht. Es mag vielleicht noch im internen Kreis der Jagdschüler legitim sein, die sich ja bewusst für diese programmatisch „etwas andere“ Jagdschule entschieden haben und ja freiwillig an diesem künstlichen Hokuspokus mitwirken. Für mich wird problematisch, wenn in einem Filmbericht in einem Kulturkanal wie „arte“ über die Jagd und über eine Jagdschule der Eindruck vermittelt wird, dass solche Exotik originärer Bestandteil der heutigen Jagdausübung in unserem Land ist. Das ist eben eine grobe Verfälschung und irgendwie auch eine Respektlosigkeit und Ignoranz gegenüber gewachsener Kultur - sowohl unserer eigenen als auch der indigenen Kultur, aus der dieser „Sonnengruss“ quasi zweckentfremdet und adaptiert wurde. Für mich ist dies wie ein Deko-Buddha im deutschen Vorgarten. Es ist und bleibt wie der typisch deutsche Gartenzwerg einfach Kitsch. Und es muss erlaubt sein, das auch auszusprechen ohne als intolerant oder unmodern zu gelten - auch wenn Zwerge und Buddhas gerade gesellschaftlich trendy sind, unter grünem Artenschutz stehen und sich gut verkaufen.