Bockjagderinnerungen

Registriert
6 Dez 2000
Beiträge
132
Viel ist über die Jagd im Ausland schon geschrieben worden, sowohl positives als auch negatives. Meiner Meinung nach kommt es nicht darauf an, wo man jagt sondern einzig und allein darauf wie man jagt. Grade in Struktur schwachen Regionen stellt die Nutzung der natürlichen Ressourcen einen entscheidenden Wirtschafts-faktor dar. Der Jagdtourismus gibt einer ganzen Reihe von Menschen Lohn und Brot und sorgt letztendlich für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und ihren Geschöpfen. Dem Jäger dagegen ermöglicht sie auch einmal über seinen jagdlichen Tellerrand hinauszublicken und andere Regionen zu erleben und neue Eindrücke zu gewinnen. Auch ist sie für den revierlosen Jäger eine der wenigen Möglichkeiten seiner Passion nachzugehen.

Auch in diesem Jahr zog es mich wieder zur Bockjagd nach Polen. Hatte ich in den letzten Jahren die Region Niederschlesien besucht, so zog es mich nun weiter nach Norden. Masuren war mein diesjähriges Ziel. Im Frühjahr hatte ich ein – auch finanziell – recht reizvolles Angebot eines kleineren, aber seriösen Jagdreisever-mittlers entdeckt. Schnell war die Entscheidung gefallen, das Angebot z u buchen und so geschah es, daß ich am 28. Juli des Jahres 2002 mein Zauberzeug zusammengepackt hatte und mich auf dem immerhin 850 km langen Weg über Frankfurt/Oder und Elblag nach M. machte. Die Grenzformalitäten waren schnell erledigt und da die Strecke gut ausgeschildert war, traf ich pünktlich zur vereinbarten Zeit im Forsthaus in M. ein. Das Forsthaus lag abseits aller Straßen und war erst nach Bewältigung von rund fünf Kilometern Waldwegen zu erreichen. Dafür hatte es den unschätzbaren Vorteil mitten im Jagdrevier zu liegen. Die Begrüßung durch Dolmetscher, Förster und seiner Frau war so, als käme ich schon seit vielen Jahren zur Jagd hierher.

Schnell hatte ich meine Sachen auf meinem Zimmer verstaut und bei einer Tasse Kaffee wurde das weitere vorgehen besprochen. Gebucht hatte ich vier volle Jagdtage sowie zwei Reisetage. Somit hätte mein erster Jagdtag planmäßig erst am nächsten Morgen beginnen sollen. Slawomir – mein Jagdführer und Förster – schlug vor, daß ich zunächst einen Probeschuß machen und wir anschließend den Abend zu einem ersten Ansitz nutzen sollten. Ich kann nicht mit Gewißheit sagen, ob hieran die mitgebrachte Flasche Whisky einer bekannten Marke einen entsprechenden Anteil hatte oder ob er dieses Angebot auch sonst unterbreitet hätte. Nachdem ich bei einem früheren Aufenthalt einmal eine Flasche Cognac in Polen kauften wollte und dabei feststellen mußte, daß die Preise für Importspirituosen dort das drei- bis vierfache der in Deutschland verlangten Summe betragen, nehme ich immer eine Flasche als Geschenk mit. Wie immer, wurde mein Mitbringsel auch in diesem Fall – nach dem obligatorischen Zögern - gerne entgegengenommen.

Slawomir, der übrigens relativ gut deutsch sprach – allerdings nur wenn der Dolmetscher nicht in der Nähe war, sonst war von ihm kein deutsches Wort zu hören – erzählte mir, daß das Revier eine Größe von rd. 4.000 ha habe, davon seien etwa 3.000 ha Wald und 850 ha Feld und 150 ha Wasser. Für polnische Verhältnisse sei es nur ein kleines Revier. In diesem Revier würden jährlich 55 Stück Rehwild, etwa 60 Stück Schwarzwild und 60 Stück Rotwild geschossen. Während ich mir auf dieser Fläche die Angaben bezüglich Schwarzwild und Rehwild ohne weiteres vorstellen konnte glaubte ich bezüglich des Rotwildes zunächst an einen Übersetzungsfehler. Auf meine Nachfrage hin, bestätigte er mir jedoch daß diese Zahl korrekt war. Ich konnte mich später mit eigenen Augen von der hohen Anzahl des vorkommenden Rotwildes überzeugen.

Der Jagdreisevermittler hatte mir in seinem Angebot bezüglich der Revierverhältnisse anderweitige Angaben gemacht, so daß ich als ich meine Waffe auswählte von einem überwiegenden Feldrevier – mit seinen meist erforderlichen weiten Schüssen – ausgegangen war. Aus diesem Grund hatte ich meine Steyer-Mannlicher im Kaliber .223 Remington gewählt. Ich hatte den Stutzen auf 100 m mit Fleckschuss eingeschossen, da dieses kleine und rasante Kaliber bei einer Schußentfernung von 200 m lediglich etwa 3 cm fällt. Auf eine weitere Entfernung als 200 m würde ich nicht mehr auf ein Stück Rehwild schießen, auch wenn es „Experten“ gibt die ihr Rehwild angeblich auf 300 m und mehr beschießen. Außerdem wird ein Stück Rehwild bei einer Entfernung von 200 m im sechsfachen Zielfernrohr schon reichlich klein. Wie ich eingangs schon erwähnte: Es kommt darauf an wie man jagt. Jetzt kamen mir jedoch Zweifel, ob ich das richtige Kaliber dabei hatte. Im Wald sind die Schussentfernungen meist deutlich kürzer, dafür ist ein größeres Kaliber wegen evtl. in der Flugbahn vorhandener Hindernisse vorteilhafter. Aber Slawomir zerstreute meine Zweifel schnell. Er schieße die .222 Remington und das Kaliber sei so präzise, daß ich im Zweifel einfach auch den Träger schießen solle. Nach ausgiebiger Begutachtung meines Stutzens bestiegen wir gegen 18 Uhr den Tarpan Honker, einen zehnsitzigen, geländegängigen Jagdwagen und fuhren die 500 m zum hauseigenen Schießstand. Mein Führer war mit meinem Probeschuss zufrieden und so ging es anschließend gleich ins Revier.

Der Wald bestand überwiegend aus einer Fichtenmonokultur (ca. 85%) die schön in Reih und Glied standen und einen weiträumigen Einblick durch den Bestand ermöglichten. Bei den restlichen 15 % wechselten sich Eichen und Buchen sowie relativ viele Birken ab. Auf meine Frage hin, ob es bei dieser hohen Anzahl an Nadelholz denn keine Probleme mit Windbruch und dergleichen gäbe, bedeutete mir Slawomir, daß dies schon der Fall sei. Dafür seien jedoch andere Förster zuständig. Sein Aufgabenbereich konzentriere sich ausschließlich auf die Jagd. Dies belegt meine eingangs aufgestellt These, daß die Jagd dort ein entscheidender Wirtschaftsfaktor darstellt.

Nach ca. 20 minütiger Fahrt waren wir an unserem ersten Ziel angekommen. Leise pirschten wir den Waldweg entlang, um einen an seinem Ende stehenden Hochsitz zu besteigen. Die Bezeichnung Hochsitz trifft den Kern der Sache nicht richtig. Bei einer Gestellgröße von 3 x 3 m wäre Ansitzhaus wohl die treffendere Bezeichnung, zumal der Sitz auch noch mit einem überdimensionalen Spitzdach ausgestattet war. Sechs Personen hätten sicher bequem auf ihm Platz gehabt. Von unserem Hochsitz sahen wir auf eine Wildwiese vor uns, die auf einer Fläche von ca. 100m x 100m vor unserem Sitz aus gemäht war. Der Rest der Wiese, die bestimmt 1.000m x 400m maß war mit hohem, vertrocknetem Gras sowie allerlei Buchwerk bewachsen. Hier überhaupt ein Stück Rehwild überhaupt zu sehen, war schon für sich genommen eine echte Leistung. Wie ich später bemerkte kam noch eine Besonderheit hinzu. Hat das Rehwild bei uns zu hause eine rötlich bis dunkelbraune Farbe, so war es hier eher sandfarben. Zusammen mit dem hohen, trockenen Gras ergab das eine fast perfekte Tarnung.

Der Juli neigte sich seinem Ende zu und die Blattzeit sollte ihren Höhepunkt erreicht haben. Den Bock verwirrt der Sonne Glut, den Hirsch die kalte Nacht. So hatte ich es in meinem Vorbereitungslehrgang auf die Jägerprüfung gelernt und auch später immer wieder gehört. Fand ich bezüglich des Hirsches den Spruch in der Praxis bestätigt, so erlaube ich mir – nun, daß sich bereits die zweite Dekade meiner Wirkens als Waidmann, dem Ende nähert – Zweifel anzumelden, soweit es das Rehwild angeht. Die Hundstage hatten begonnen und das Thermometer zeigte 31 Grad im Schatten. Dazu brannte die Sonne gnadenlos vom Himmel, so daß mein Führer sich seines ohnehin nicht dicken Jagdhemdes entledigte. Ich demgegenüber behielt tapfer meines an, hauptsächlich wegen der Bremsen, die sich gnadenlos auf uns stürzten. Offenbar ging es dem Rehwild nicht besser und so zog es vor, im kühleren Wald zu bleiben, statt auf die heiße Wiese auszutreten. Bis gegen 20 Uhr tat sich nichts, sosehr Slawomir auch blattete. Schließlich war er der Meinung, daß hier heute nichts mehr zu erwarten sei und wir den Platz wechseln sollten.

Der neue Ansitzplatz war dank des Geländewagens nach knapp fünf Minuten erreicht. Schnell hatten wir die 500 m Fußweg bis zur Leiter zurückgelegt und diese erklommen. Wieder saßen wir an einer Wildwiese, die sich nicht grundlegend von der vorigen unterschied, außer daß sich rechts von uns eine mit niedrigem Gras bewachsene Fläche von ca. 70m x 80m erstreckte. Dieser Platz erwies sich als günstiger, da die Sonne hier nicht mehr mit voller Wucht brannte und es so schon etwas kühler geworden war. Lange leuchteten wir mit unseren Gläsern die große Freifläche ab und ich entdeckte in gut und gerne 400m Entfernung eine Ricke und kurze Zeit darauf den zugehörigen Bock. Der Bock war ein enggestellter Gabler, den ich auf etwa vierjährig schätzte. Slawomir begann zu fiepen, was Bock und Ricke zwar aufmerksam verfolgten, aber keine Anstalten machten darauf zu reagieren. Langsam äsend zogen sie dem jenseitigen Waldrand zu. Irgendwie war diese Reaktion für mich klar, warum sollte der Bock seine Gespielin verlassen und nach einer neuen Ausschau halten? Kurz vor erreichen des Waldrandes begann er die Ricke zu treiben und kurz darauf konnte ich miterleben wie er sie beschlug. Dann waren beide im schützenden Wald verschwunden. Zwischenzeitlich war auf der kleinen Wiese rechts von uns ein Schmalreh ausgezogen, das kurz darauf von einem Jährling gefolgt wurde. Der Jährling trug zwei knapp lauscherhohe, etwa daumendicke Spieße auf dem Haupt – ein hoffnungsvoller Zukunftsbock. Sein jugendliches Alter verriet er uns unter anderem durch die Serien von übermütigen Bocksprüngen, die er während seinem gut 1 ½ stündigem Besuch bei uns vollführte. Auch konnte er mit dem Schmalreh absolut noch nichts anfangen. Er machte während der ganzen Zeit nicht ein einziges mal den Versuch zu treiben. War es ein Geschwisterpaar vom Vorjahr oder hatte der Zufall beide hier zusammengeführt? Weiter sahen wir während dieser Zeit kein Wild.
Zwischenzeitlich war es gegen 21 Uhr 30 geworden und auch hier an der großen Lichtung begann das Licht langsam, aber sicher schlechter zu werden. Ein fragender Blick zu meinem Führer ob es Sinn mache, noch weiter hier zu warten beantwortete dieser mit „halbe Stunde“. Langsam tickte der Uhrzeiger vor sich hin und es mochte gegen 21 Uhr 50 gewesen sein, als wir in unmittelbarer Nähe unserer Leiter ein prasseln und keuchen hörten. Und schneller als ich das hier beschreiben kann stürmten ein Schmalreh, getrieben von einem etwa zweijährigen Gabler und dieser wiederum verfolgt von einem vom mir auf sieben Jahre geschätzten, knapp lauscherhohen angedeuteten Sechser über die Wiese. Bei dem Sechserbock waren sowohl Vordersprosse der rechten, als auch die Hintersprosse der linken Stange nur angedeutet, so daß auf den ersten Blick klar war, der paßt. Würde das Licht noch reichen? Hin und her ging die wilde Jagd. Längst hatte ich das Glas mit dem Stutzen vertauscht und wartete nur auf einen Moment, da er verhoffen und Blatt oder Träger zeigen würde. Endlich ließ er von seinem Kontrahenden ab und stand sichtlich nach Atem ringend im hohen Gras. Aber wie einen Schuß anbringen? Die Entfernung betrug kanppe 120 m und wäre kein Problem aber weder Blatt, noch Träger waren frei. Nach einer mir unendlich erscheinenden Zeit – in Wirklichkeit waren es wohl nur einige Minuten – begann der Bock direkt auf uns zuzuziehen um anschließend scheibenbreit im niedrigen Gras zu verhoffen. Ohne mir direkt darüber bewußt zu sein, brach der Schuss und durch das – bei nur 50 cm Lauflänge – recht starke Mündungsfeuer geblendet, sah ich den Bock nicht mehr. Ich hatte ihm weder fallen, noch abspringen sehen. Er war einfach weg. Ein fragender Blick zu meinem Führer ließ diesen nur „Waidmannsheil“ antworten. Ich hatte die ganze Zeit durchs Zielfernrohr geschaut und so bemerkte ich erst jetzt, wie dunkel es geworden war. Ein Blick auf die Uhr bestätigte, daß es 22 Uhr 15 geworden war. Die Phase der Anspannung hatte also fast eine halbe Stunde gedauert. Jagdfieber kommt bei mir meistens erst nach dem Schuß auf, so auch jetzt. Wir blieben noch eine viertel Stunde sitzen bevor wie abbaumten und zum Bock gingen. Das Geschoß hatte den Rand des Blattes getroffen und war auf der anderen Seite nicht wieder ausgetreten. Daher wohl das schlagartige verenden des Stückes..
Schnell hatte ich ihn aufgebrochen, obwohl Slawomir diese Arbeit übernehmen wollte. Diese Arbeit mache ich grundsätzlich selbst. Wer schießt, bricht auch auf – so wurde mir dieser Grundsatz vom ersten Tag meine Jägerdarseins eingebläut. Lediglich beim ausrändeln des Waidlochs ließ ich mir helfen, da die Polen das Schloß nicht aufbrechen. Dies hätte sofort eine niedrigere Einstufung der Fleischqualität und damit des erzielbaren Preises für das Wildbret zur Folge.

Der Bock wurde von der Kommission auf drei Jahre geschätzt und brachte ein Gehörngewicht von 201 g auf die Waage. Er wog aufgebrochen – ohne Haupt – 18 kg. Im Gesicht war er eisgrau. Wenn bei uns zu hause ein Bock derart grau im Gesicht ist, hat er stets ein hohes Alter erreicht. Dies und das relativ hohe Wildbretgewicht hatten mich dazu verleitet, das Alter des Bockes deutlich zu hoch einzuschätzen.

Die Nacht war kurz, und um drei Uhr riss mich der Wecker aus dem Schlaf. Wegen der Wärme war ich erst spät eingeschlafen und so fiel mir das aufstehen reichlich schwer. Auch die Tasse Kaffee half da nicht viel. Dennoch saß ich Punkt 3 Uhr 30 fertig zum Aufbruch vor der Tür. Auch Slawomir sah man an, daß er den Rest der Nacht gerne in seinem Bett verbracht hätte. Während am Himmel der erste Lichtschein zu sehen war, lag der Wald durch den uns unser Weg führte noch in völliger Dunkelheit. In der Nacht hatte es etwas Tau gegeben, war aber noch immer sehr warm und so lag die Wiese, an der unser Sitz stand in einem relativ dichten Nebel. Wir mögen wohl eine Stunde gesessen haben - wobei mir immer wieder die Augen zugefallen waren, als mein Führer mich anstieß und „Bock“ sagte. Dabei deutete er auf einen imaginären Punkt. Ich nahm mein Glas an die Augen und sah: nichts außer Nebel. Hatte ich mir bei der Beschreibung, daß das Revier zu 850 ha aus Feld bestand vorgestellt, es handele sich um mit Getreide, Kartoffeln, Gemüse oder ähnlichem bestellte Felder – wie ich es von zu hause aus kannte – so muß ich dem geneigten Leser erklären, daß dem hier nicht so war. Das Feld war in Wirklichkeit eine ungemähte Wildwiese mit einem Ausmaß von gut und gern 60 ha. Allein der Punkt auf den mein Führer deutete dürfte eine Größe von bequem fünf ha gehabt haben. So sehr ich auch spekulierte in diesem Gewirr von trockenen Gräsern, Büschen und Nebel – ich sah den Bock nicht. Schon hatte ich mich damit abgefunden, daß ich ihn wohl nicht sehen würde, da bemerkte ich am Rande des Sehfeldes meines Fernglases eine Bewegung. Da war er, etwa in einer Entfernung von 250m, total verdeckt. Im Gesicht war er ebenso grau wie der gestrige Bock, doch heute war ich bei meiner Altersschätzung auf der Hut. Ich schätzte ihm auf drei Jahre und lag – wie sich später zeigen sollte – damit genau richtig. Er trug ein knapp lauscherhohes Sechsergehörn wobei die beiden Hintersprossen lediglich angedeutet waren. „Selektionsbock“ hörte ich von rechts. Slawomir begann zu fiepen und nach kurzem verhoffen begann der Bock auf uns zuzuziehen. Längst lag der Stutzen auf der Brüstung und auch mein rechter Arm hatte eine gute Auflage. Da das Gras und Gestrüpp überall recht hoch war und keinerlei Fehlstellen vorhanden waren, würde mir nur der Schuß auf den Träger bleiben. Nach vielleicht 10 Minuten war der Bock auf ca. 150m zu uns herangezogen. Zwar bin ich kein schlechter Schütze, jedoch war mir etwas mulmig zumute aus dieser Entfernung auf den Träger zu schießen. Ein einziger Grashalm ist in der Lage das 3,56 g schwere Teilmantelgeschoß aus seiner Flugbahn zu werfen und die Gefahr auf diese Entfernung ein Hindernis in der Flugbahn zu übersehen war riesengroß. Schon einmal, vor zwei Jahren hatte ich einen Bock gefehlt, der auf vergleichbare Entfernung in mitten eines Getreidefeldes stand. Obwohl ich sauber abgekommen war sprang der Bock gesund ab. Trotz intensiver Suche fand ich an der Anschußstelle - dem einzigen Busch innerhalb des Feldes - keinen Tropfen Schweiß. Daß der Bock wirklich gesund war, davon konnte ich mich im letzten Jahr überzeugen. Ich erlegte ihn fast auf den Tag genau ein Jahr nachdem ich ihn gefehlt hatte. Doch davon später mehr. Ich entschloß mich notgedrungen zu warten, ob er mir eine Chance für einen sicheren Schuß bieten würde. Ich mußte lange warten. Gut eine halbe Stunde bewegte sich der Bock kaum von der Stelle. Da half auch kein Fiepen. Es war inzwischen richtig hell geworden und der Nebel begann sich zu lichten. Der Tag würde wieder sehr heiß werden. Vielleicht war es ja grade die zunehmende Wärme, die den Bock dazu veranlaßte den schützenden Wald aufzusuchen. Jedenfalls zog er gradewegs auf uns zu und als er an einer relativ freien Stelle verhoffte um zu sichern, faßte ihn meine kleine Kugel auf ca. 60m am Träger. Er hat den Knall nicht mehr gehört. Er brachte aufgebrochen - ohne Haupt - später 19 kg auf die Waage. Sein Gehörn brachte später mit 202g genau 1g mehr als mein Bock vom Vortag auf die Waage. Kaum war jedoch mein Schuß verklungen, da stand in ungefähr 200m Entfernung ein neuer Bock im hohen Gras und zog auf dem gleichen Weg, den der soeben erlegte genommen hatte auf uns zu. Beim verendeten Bock verhoffte er lange und seine Erlegung wäre mir ein leichtes gewesen. Ich entschied mich aber dazu den Finger grade zu lassen. Ein Bock an diesem Platz sollte genügen. Auch zeigte sein Gesicht nur eine mäßige Graufärbung, so daß ich auf ein eher jugendliches Alter schloß. Dazu paßten auch seine übrigen Körpermerkmale. Dennoch war das Gehörn recht vielversprechend. Er trug ein etwa 5cm über Lauscher hohes, stark geperltes Sechsergehörn. Kaum war der Bock eingezogen, trat direkt unter dem Sitz ein Jährling aus mit lediglich winzigen Knöpfchen. Wäre er mir nicht auf diese kurze Entfernung gekommen, bestimmt hätte ich ihn als Ricke angesprochen. Ich schoß ihn nicht, sollten meine fünf Pauschalböcke doch etwas besser sein. Er zog es vor sein Glück nicht weiter herauszufordern und verschwand eilig in der schützenden Wiese. Nachdem er weit genug gezogen war, baumten wir ab und begaben uns zu meinem zweiten Bock. Schnell war die rote Arbeit getan und das Stück in der Wildwanne des Geländewagens verstaut. Auf dem Heimweg schauten wir noch mal bei den Wiesen und Wildäckern in der näheren Umgebung nach, sahen aber kein Wild mehr. Zu warm war es bereits geworden und das Wild hatte sich in seine Tageseinstände zurückgezogen. Unser weiterer Weg führte uns durch ein größeres Waldstück in dem die Altfichten in Reih und Glied standen und uns so einen guten Einblick in den Bestand ermöglichten. Im langsamen durchfahren entdeckte ich zwei rote Punkte im Bestand. Da die Rehe, die ich bisher gesehen hatte eher eine Sandfarbe hatten, dachte ich zunächst an Rotwild. Aber es stand ein Schmalreh neben einem starken Sechserbock dort auf vielleicht 90m. Der Bock war von meinem Standort aus bis auf den Träger völlig frei. Den Geländewagen hatten wir geräuschlos verlassen können, doch wie einen Schuß anbringen? Ich stand völlig ungedeckt mitten auf dem Weg, hatte keinen Pirschstock zur Hand - der lag beim erlegten Bock im Auto - und die beiden Stücke hatten uns ebenfalls bereits eräugt. Ein Schritt nach vorne zur nächsten Fichte hätte die beiden Rehe zum abspringen veranlaßt. So blieb mir nur die Möglichkeit im knieen zu schießen. Aber außgerechnet in dieser Position hatte ich einen Zweig der einzigen Buche weit und breit im Zielfernrohr. Also wieder ein wenig aufrichten, wobei die Position immer wackliger wurde. Unbewußt brach der Schuß. Leider war ich ein wenig zu weit hinten abgekommen. Der Bock sprang ab und an einen Nachschuß war nicht zu denken. Mit langem Gesicht schaute ich meinen Führer an. Er bestätigte mir, daß der Schuß ein wenig weit hinten saß, wollte aber gleich nachgehen. Ob er Angst hatte, das Stück würde wegen der Wärme verderben? Ich hätte lieber zwei Stunden gewartet, konnte mich mit meiner Auffassung aber nicht durchsetzen. Also gingen wir vorsichtig mit geladener Waffe in den Bestand, wobei ich immer damit rechnete den kranken Bock aufzumüden. Für diesen Fall war ich zu einem schnell hingeworfenen Schuß bereit. Plötzlich sagte Slawomir: „Bock liegt“, was ich allerdings so interpretierte, daß der Bock im Wundbett säße und machte mich für den Fangschuß bereit. Glücklicherweise war er jedoch bereits verendet. Der Schuß saß mitten auf dem Stück, dort wo auf der Bockscheibe die 10 ist. Zwei cm weiter nach hinten jedoch und eine üble Nachsuche wäre die Folge gewesen. Diana hatte heute morgen wohl ihre schützende Hand über mich gehalten und meine Kugel gelenkt. So fuhren wir glücklich mit zwei Böcken zum Forsthaus. Später wurde der Bock von der Kommission auf sechs Jahr geschätzt. Er brachte volle 20 kg auf die Waage und das 258g schwere, dunkelbraune und reichlich geperlte Sechsergehörn habe ich heute bei den besonderen Böcken aufgehängt. Es wird mich mein restliches Jägerleben daran erinnern, wie schnell man mit einem unvorsichtig abgegebenen Schuß Unheil anrichten kann.

Der folgende Abendansitz bringt trotz mehrfachen Wechsel des Platzes nur den Anblick von einer Ricke mit ihrem Kitz sowie vier Kraniche, die majestätisch anmutend an unserem Sitz vorbeistreichen. So habe ich Zeit meine Gedanken zurückwandern zu lassen. Morgen, am 30. Juli würde es genau fünf Jahre her sein, daß ich zum ersten Mal in Polen zur Bockjagd war. Lange hatte ich überlegt, ob ich dieses Abenteuer wagen solle. Gehört hatte ich schon manches über Polen - von hervorragenden Wildbeständen und geklauten Autos. Was sollte ich tun, wenn mir letzteres widerfahren würde? Beruhigt durch die Auskünfte des Vermittlers, daß der VW Golf den ich damals fuhr nicht zu den begehrten Fahrzeugen gehöre, buchte ich. Bis heute habe ich diesbezüglich keinerlei Schwierigkeiten erlebt. Voraussetzung ist jedoch, daß man einige Sicherheitsregeln beachtet.

Damals führte mich mein Weg in die Nähe von Legnica in der Region Niederschlesien. Bei dem Revier handelte es sich zu 90% um Feld und so hatte ich auch hier meine .223 Remington gewählt. Allerdings war man dort mit meiner Wahl nicht besonders glücklich und hätte gerne ein größeres Kaliber gesehen. Dennoch schoß ich gleich beim ersten Abendansitz auf etwa 180m einen bereits stark zurückgesetzten Bock. Nach dem Unterkiefer war er ca. 8 Jahre alt und brachte immer noch 269g Gehörngewicht auf die Waage. Den folgenden Tag, den 31. Juli 1998, werde ich mein Leben lang in schmerzlicher Erinnerung behalten. Der Tag hatte gut begonnen und nach einer anstrengenden Morgenpirsch konnte ich einen braven, aber nur knapp 200g schweren Bock strecken. Anschließend wollte mein Führer noch einen Hochsitz beziehen. Anblick hatten wir aber keinen mehr und so baumten wir relativ schnell wieder ab. Beim herabsteigen übersah ich die unterste, völlig zugewachsene Sprosse des Sitzes. Da es in der Nacht reichlich Tau gegeben hatte, war diese Sprosse auch noch ziemlich glitschig. Es kam wie es kommen mußte. Ich rutschte ab und blieb mit meinem linken Fuß unter der Sprosse hängen. Um das Unglück perfekt zu machen war da auch noch ein etwa drei Meter tiefer, mit Brombeergestrüpp zugewachsener Graben. In diesen rutschte ich und zog mir eine Fraktur des linken Sprunggelenks zu. Ein einziger Blick auf meinen Fuß in Verbindung mit einem stechenden Schmerz beim Versuch aufzutreten sagten mir, daß für mich diese Jagd beendet war. Es dauerte gute drei Monate bis ich wieder ohne Krücken laufen konnte. Bis ich dies ohne Schmerzen tun konnte gingen sogar neun Monate ins Land und noch heute kann ich mit absoluter Sicherheit Wetteränderungen innerhalb der nächsten beiden Tage vorhersagen. An solchen Tagen ist der Fuß so steif, daß ich das Gefühl habe das Laufen neu erlernen zu müssen. Somit wird das Datum 31.7.1998 mir in ewiger Erinnerung bleiben.
Dennoch war ich am 19. Mai des folgenden Jahres wieder im gleichen Revier. Nach herzlicher Begrüßung durch Maria, meine Dolmetscherin, dem Jagdkomitee und Jurek – dem Hausherrn, der eigentlich Wladislaw hieß - und ausgibiger Begutachtung meines zwischenzeitlich wieder genesenen Fußes, versuchte man mir die Hiobsbotschaft möglichst schonend beizubringen. Im Revier war in diesem Jahr überwiegend Raps angebaut worden, und aufgrund der warmen Witterung stand dieser schon mannshoch. Ich war zwar nicht grade begeistert, aber da fünf Jagdtage vor mir lagen nahm ich es auch nicht grade tragisch.
Tatsächlich gestaltete sich die Jagd nicht grade einfach, was im wesentlichen daran lag, dass das Rehwild bereits auf Entfernungen von 200 m und mehr absprang. In diesem Jahr erlegte ich vier brave, aber nicht sehr starke Böcke. Laut Jagdprotokoll wogen sie zwischen 184 g und 244 g. Die Erlegung jedes einzelnen zu schildern würde den Rahmen dieses Berichtes bei weitem sprengen, deshalb will ich mich hier nur auf einen beschränken.

Es war der Morgen des 20. Mai 1999. Der Vortag war mit Temperaturen von über 30 Grad sehr heiß gewesen und das Wild hatte es vorgezogen bis in die späten Abendstunden im kühleren Einstand zu bleiben. Die Nacht brachte kaum Tau und so war es schon um 5 Uhr mehr als 20 Grad warm. Die Pirsch brachte lange keinen Anblick, egal an welcher Waldkante wir entlang pirschten, egal wie viele Hochsitze wir bestiegen um Ausschau zu halten. Es kam kein Wild in Anblick. Schließlich meinte Eric, mein Führer „fahren Auto“. Nun bin ich kein Freund der Autopirsch, jedoch muß man bei Reviergrößen von mehr als 8.000 ha schon einige Zugeständnisse machen und nach fast dreistündiger Pirsch ohne Anblick war ich über den Vorschlag auch nicht grade böse. Also fuhren wir die Felder ab und tatsächlich gelang es uns einen Bock zu finden. Er stand am Rande eines Schilfgürtels. Außer dem Träger war er vollständig verdeckt und zu allem Überfluß sicherte er auch noch zu uns hin. Die Entfernung schätzte ich auf etwa 120m und ich hatte noch nie auf den Träger geschossen. Was half‘s – Eric drängte zum Schuß. Also auf der Motorhaube des Lada Niva aufgelegt, langsam saugte sich das Fadenkreuz des Absehen 4 auf dem dünnen Träger fest. Die Vergrößerung hatte ich bei 2,5 fach belassen, da das Licht gut war und eine größere Vergrößerung zu viel verdeckt hätte. Ich hatte das Gefühl es dauerte eine Ewigkeit aber tatsächlich waren es wohl nur ein paar Sekunden bis der Schuss brach. Ich sah den Bock im Feuer fallen und jetzt war erst mal tiefes durchatmen angesagt. Wie ich anschließend feststellen konnte, hatte ich die Entfernung richtig eingeschätzt und die gute alte .308 Win hatte ganze Arbeit geleistet.

An den folgenden Tagen sah ich zwar noch reichlich Wild und konnte auch noch drei Böcke strecken, aber ein besonderer war nicht dabei bis – ja bis zu dem Bock im Getreidefeld den ich bereits erwähnte. Es war am Morgen des 24. Mai 1999. Es war mein letzter Pirschgang während dieser Jagdreise gewesen, denn am nächsten Morgen würde ich die Heimreise antreten und für den Abend war ein geselliges Beisammensein anberaumt. Während der Jagd bin ich mit geistigen Getränken nicht besonders freigiebig, wußte ich doch aus zuverlässiger Quelle welche Mengen an Wodka die Polen zu vernichten in der Lage sind. Man kann sich leicht ausmalen, daß das Aufstehen um drei Uhr in der Früh nach einer Flasche oder mehr nicht besonders leicht fällt und ob der Führer dann besonders gut läuft darf bezweifelt werden. Um diesem Übel vorzubeugen lasse ich am letzen Abend eine kleine Feier veranstalten – sozusagen als Dankeschön für eine gute Jagd. Der letzte Morgen hatte wenig Anblick gebracht und es war schon gegen 9 Uhr als wir uns auf dem Rückweg kurz vor unserem Jagdquartier befanden. Schnell nochmal einen Blick übers Weizenfeld und ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Da stand in etwa 150 m Entfernung ein Bock, wie ich ihn noch nicht gesehen hatte. Nichts wie raus aus dem Auto, doch leider stand der Bock auf meiner Seite, so dass ich einmal um den Niva rum mußte. Als ich das geschafft hatte war vom Bock nichts mehr zu sehen. Wo war er? Hatte er mich mitbekommen? Dort, bei dem einzigen Busch – mitten im Feld – hatte er doch gestanden. Banges Warten. Da bewegte sich dort nicht der Busch obwohl es völlig windstill war. Richtig, dort stand er. Es dauerte nicht lange und ich konnte sein Blatt sehen. Schon war der Schuss draußen und der Bock sprang ab. Wie mir schien gesund. Wie konnte das sein? Wir gingen zum Anschuß, jenem besagten Busch. Jetzt erkannte ich, dass in der Mitte des Feldes ein kleiner Bach floss, der das Feld der Länge nach in zwei Hälften teilte. Daher stand auch der Busch mitten im Feld. Am Anschuss fanden wir nichts. So sehr ich auch suchte ... nichts, bis ich auf einmal entdeckte, dass ein Ästchen dieses Busches eine helle Schnittfläche aufwies – genau in der Höhe des Blattes. Der Durchmesser des Ästchens dürfte höchstens 3 mm betragen haben. Trotzdem reichte er aus um das 9,7g Nosler aus meiner .308 Win abzulenken. Ich erlegte diesen Bock fast auf den Tag genau ein Jahr später, wiederum am Morgen meines letzten Jagdtages und exakt an der gleichen Stelle an der ich ihn im Vorjahr gefehlt hatte. Er brachte aufgebrochen 22 ½ kg auf die Waage und sein Gehörn ist mit einem Gewicht von 352g bis heute mein stärkstes.

Sowohl der Morgen- als auch der Abendansitz meines dritten Jagdtages brachten nur wenig Anblick und keinen jagdlichen Erfolg. Da half auch alles blatten nichts. Zürnte mir Diana, die launische? Gestern morgen hatte sie mir gelächelt und ihr Füllhorn voll über mir ausgeschüttet. Vier Böcke wollte Sie mir zum Geschenk machen, doch ich hatte es abgelehnt und nur zwei davon erlegt. Innerlich leistete ich ihr Abbitte. Nun drei Jagdgänge blieben mir ja noch und vielleicht würde sie meine Bitte um Vergebung ja akzeptieren.
Der Morgen des vierten Jagdtages sah uns wieder pünktlich den Jagdwagen besteigen. An diesem Morgen sah ich Slawomir deutlich an, daß er sich über die Mißerfolge der letzten drei Jagdgänge ernsthafte Gedanken machte. In der Nacht hatte es ein wenig abgekühlt und so standen unsere Chancen auf einen Erfolg deutlich besser, als an den vorherigen Tagen. Heute morgen dauerte die Fahrt etwa eine halbe Stunde und führte uns in ein schmales, aber sehr langgezogenes Wiesental, durch dessen Mitte ein kleiner Bach floß. Das Gras war hier sehr kurz – offenbar hatten hier bis vor kurzen Rinder oder Schafe geweidet. Etwa in der Mitte des Tales stand eines jener Ansitzhäuser, unser Ziel. Heute fieberte ich der einsetzenden Dämmerung entgegen, hatte ich doch in meinem innersten das Gefühl, heute würde sich etwas besonderes ereignen. Immer wieder versuchte ich mit dem 8 x 56 die Dunkelheit zu durchdringen. Als das Licht hierfür endlich ausreichte sah ich – nichts und das blieb auch bis gegen sechs Uhr so. Trotz der günstigen Stelle war weit und breit nicht das kleinste Stückchen roter Decke zu erkennen. Slawomir sah ich die Endtäuschung deutlich ins Gesicht geschrieben, als er mir bedeutete daß wir abbaumen sollten. Den Wagen ließen wir an Ort und Stelle stehen und pirschten etwa 500m bis wir um eine Wegbiegung sehen konnten. Hinter der Wegbiegung lag wieder eine jener ungemähten Wiesen, die ich bereits beschrieben habe. Dank des Baches war diese aber nicht vertrocknet, sondern erstrahlte im saftigsten grün das man sich vorstellen kann. Kaum hatten wir einen Blick riskiert, da riß es uns auch schon wieder zurück. In von mir geschätzter Entfernung von ca. 80m stand ein Bock im hohen Grün. Aber nicht irgendein Bock. Es war ein braver Sechser mit dunklen, fast schwarzen und an der Basis reich geperlten Stangen. Die Enden waren so blank poliert, als seien sie aus Elfenbein und gegen die Morgensonne hatte ich den Eindruck als würden die beiden mehr als handbreit über Lauscher hohen Stangen gar nicht enden wollen. Das war sie, die Besonderheit dieses Morgens, die ich im innersten gefühlt hatte. Alt genug war er mit Sicherheit und auch die Stärke des Körperbaus ließen keinen Zweifel zu, hier hatte ich einen reifen Bock vor mir. Doch wie einen Schuß anbringen. Lediglich der Träger des Bockes war frei. Wir standen mitten auf dem Weg und zu allem Überfluß sicherte der Bock auch noch zu uns hin. Ich versuchte auf der Schulter meines Führers aufzulegen. Nein - von so einer wackeligen Auflage einen Trägerschuß anbringen – das ging nicht. Blieb nur noch die Möglichkeit an der rechts stehenden Buche anzustreichen. Bis zu dieser waren es nur zwei Schritte aber der Bock sicherte noch immer zu uns. Millimeter für Millimeter bewegte ich mich seitwärts, nie den Blick vom Bock lassend und doch darauf achtend daß bloß jetzt kein Ästchen knackte. Nach einer Ewigkeit hatte ich es geschafft einen Schritt zu überwinden. Beim zweiten Schritt erwartete mich trockenes Gras in dem vielleicht auch noch dürres Holz verborgen war. Das wollte ich nicht riskieren. Nicht bei diesem Bock. Also ging ich in den Anschlag und lehnte ich meine 178 cm schräg gegen den Stamm, so daß meine Schulter am Baum anlag. Der Kolbenhals und meine rechte Hand berührten ebenfalls den Stamm und ich hatte in dieser unbequemen Stellung tatsächlich soviel halt, daß die Pendelbewegung auf dem Träger sich in Grenzen hielt. In diesem Moment zog der Bock vielleicht einen halben Gang vor und bot mir eine freie Stelle am Trägeransatz von der Größe einer Streichholzschachtel. Ohne mir dessen richtig bewußt zu sein saugte sich das Kreuz des Absehn 4 auf dieser Stelle fest und als die Pendelbewegung nach rechts ging brach der Schuß. Der Bock brach auf der Stelle zusammen. Man mag es mir nicht verübeln, wenn ich die übliche Wartezeit nicht einhielt. Nichts und niemand hätte mich in diesem Moment au meinem Platz halten können. Gewohnheitsmäßig zählte ich 80 Schritte ab, da lag kein Bock. Mein Blick ging zu Slawomir, der mir bedeutete daß es weiter gewesen sei. Also ging ich weiter vorwärts und zählte dabei die Schritte, 90, 100, 110 ... bei 143 angekommen stand ich vor meinem Bock. Vorsichtig umfaßten meine Hände die Rehkrone und mein Dank ging zu Diana, die meine Bitte um Vergebung erhört hatte. Meine Gefühle in diesem Moment lassen sich nicht beschreiben. Den Geist des Bockes versöhnte ich mit einem letzten Bissen von jener Buche, an der ich angestrichen hatte. Während Slawomir das Auto holte, hielt ich die Totenwacht. Zurückgekehrt überreichte er mir den Erlegerbruch, den ich aufgehoben habe und der heute die Krone an meiner Wand ziert. Das Gehörn mißt rechts 24 und links 24,5 cm, brachte trotz der Stangenlänge aber nur 301g auf die Waage. Der Bock wurde auf sechs Jahre geschätzt und wog aufgebrochen mit Haupt 20 ½ kg.

Die Länge des Tales hatte mich dazu veranlaßt die Entfernung gnadenlos zu unterschätzen. In diesem Moment dankte ich der Fügung, die mich bewogen hatte die .223 Rem. zu wählen. Bei einem meiner anderen Kaliber hätte ich den Bock entweder gefehlt, oder noch schlimmer krank geschossen. Ich bin mir jedoch sicher, daß ich auch mit diesem Kaliber den Schuß bei korrekt geschätzter Entfernung nicht gewagt hätte.

Am folgenden Abend war es mir eigentlich nicht mehr so wichtig ob ich noch einen weiteren Bock schießen würde oder nicht. Ich hatte bereits vier Böcke erlegt und war durch das Erlebnis am Morgen mit dem Ergebnis der Jagdreise bereits mehr als zufrieden. Dennoch wollten wir den letzen Abend nochmals nutzen. Der Tag war nicht so heiß gewesen wie die vorigen und um 18 Uhr hatte es ein Gewitter gegeben, was uns veranlaßte an diesem Abend relativ zeitig aufzubrechen. So saßen wir gegen 18 Uhr 15 wieder an jener 100 ha Wiese, an der ich bereits Waidmannsheil hatte. Diesmal jedoch bezogen wir eine Leiter in der Nähe der Stirnseite der Wiese. Bereits beim aufbaumen sahen wir Rotwild in einiger Entfernung, was uns zu entsprechender Vorsicht veranlaßte. Die Abkühlung und der Regen hatte offensichtlich das Rehwild veranlaßt schon früh die schützende Deckung zu verlassen. Ich sah an diesem Abend nicht weniger als 12 Böcke und mindestens 10 Stück weibliches Rehwild. Außerdem hatten wir um 19 Uhr – bei bestem Licht – drei Bachen mit insgesamt ca. 15 Frischlingen und eine Rotte mit 8 Überläufern vor uns. Ich erlegte an jenem Abend relativ unspektakulär einen schwachen Sechserbock auf eine Entfernung von etwa 90m. Der Bock wog aufgebrochen mit Haupt 15kg und brachte ein Gehörngewicht von 148g auf die Waage.

Die Weite und Ursprünglichkeit der Polnischen Landschaft faszinieren mich immer wieder. Dennoch werde ich im nächsten Jahr nicht in Polen waidwerken. In diesem Jahr löse ich meinen zwanzigsten Jagdschein und anläßlich dieses kleinen Jubiläums soll ein Traum in Erfüllung gehen. Namibia heißt das große Ziel. Darüber ob Diana mir auch unterm Kreuz des Südens lächelte und mir Kudu, Oryx, Hartebeest und Warzenschweinkeiler zur Beute werden ließ werde ich demnächst berichten.
 
Registriert
16 Dez 2000
Beiträge
11.022
.
.
.
.
.
ein schlichtes aber
aufrichtiges und von
Herzen kommendes

Waidmannsheil !

zu mehr fehlen mir bei diesem Bericht die Worte

Andreas
 
Registriert
2 Sep 2001
Beiträge
56
auch von mir ein kräftiges Waidmannsheil und vielen Dank für diesen schönen und eindrucksvollen Bericht.Dein Bericht zeigt, dass die Bockjagd, egal ob in Polen oder hier bei uns, mehr ist als nur die Reduktion von roten Knospenfressern sondern stimmungsvolle und spannende Jagd.

MitaufdenerstenMaiwartendengrüßen
 
Registriert
18 Sep 2001
Beiträge
2.365
Ein herzliches Weidmannsheil und Dank für den vorzüglichen Bericht.
( Lust auf MEHR !

Gruß und WeiHei
Dilldapp
 
Registriert
1 Jan 2003
Beiträge
146
Wunderschön geschrieben und vorallem spannend!

Kräftiges Waidmannsheil

und viel Spaß und Waidmannsheil in Afrika
 
Registriert
19 Jun 2001
Beiträge
1.150
Waidmannsheil!

Schön, spannend und ehrlich erzählt.

Ich wünsche Dir weiterhin solch schöne Jagderlebnisse.

Gruß

Manuel
 
Registriert
20 Aug 2001
Beiträge
1.452
Waidmannsheil
icon_smile.gif

und danke für den tollen Jagdbericht.
ein begeisterter
caguma
 
Registriert
6 Nov 2002
Beiträge
380
@ A. Krämer :

...Diana hatte wohl ihre schützende Hand über mich gehalten...
...zog ich mir eine Fraktur des linken Sprunggelenks zu...

...tja, Diana ist wirklich ein launisches Weib.
Tipp : Versuch's mal mit dem Hl.Hubertus, der ist ein bisserl ausgeglichener.

Dankender Gruß für den schönen Bericht und WH !
icon_cool.gif
M.
icon_cool.gif
 
Registriert
6 Dez 2000
Beiträge
132
@ Dilldapp

Mehr gibt's im Juli/August wenn ich aus Namibia zurück bin. Ich bin mal gespannt ob das Afrika-Virus auch bei mir zuschlägt. Ich höre ja immer, wer einmal in Afrika war will immer wieder dort hin.

@ Monsignore

Tja, vielleicht hast Du Recht und ich sollte es mal mit Hubertus versuchen, aber wie das so mit den Frauen ist, man kann nicht mit Ihnen und auch nicht ohne sie leben. Oder wie der Franzose sagt:

La vie est dure,
les femmes coutent cher et
les enfants sonts difficiles affaires.

Ich werd Diana jedenfalls nochmal eine Chance geben.

Waidmannsheil Andreas
 
A

anonym

Guest
Heute erst gelesen.
Aber trotzdem noch ein nachträgliches Waidmannsheil!
 

Neueste Beiträge

Online-Statistiken

Zurzeit aktive Mitglieder
8
Zurzeit aktive Gäste
542
Besucher gesamt
550
Oben