Des Maien gold´ne Tage- Teil II

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Im Frühjahr 2015 waren Anfang März wieder frische Fegestellen vorhanden. Nicht mehr so viele wie in den Jahren zuvor, aber erkennbar vorhanden. Um den Bock endlich einmal in Anblick zu bekommen, musste ich mir etwas einfallen lassen. Also baute ich eine Salzlecke nahe des verdeckten Wechsels über der Straße, ca. 100 m vom Sitz entfernt in der Hoffnung, den Bock einmal dort zu sehen.


Gleich am ersten Mai war ich früh zur Stelle. Der Morgen kam, aber kein Phantombock ließ sich blicken. Erst bei vollem Licht zog unweit von meinem Sitz ein schwacher Jährling von oben aus den Eichen auf die Kultur. In einer Lücke zwischen den Fichten sah ich ihn wieder und als er schön breit stand, zog ich langsam den Abzug durch. Durch das auf vierfache Vergrößerung eingestellte Zielfernrohr sah ich den Bock im Knall fallen und den Einschuss hinter dem Blatt.


Eine Woche später war ich wieder früh auf der Scherenleiter. Im ersten Licht glaste ich die unter mir liegende Kultur ab und hatte plötzlich einen Bock in Anblick. Der Bock stand ca. 60 m unter mir im Hang und fegte genüsslich eine unterarmstarke Douglasie, die er sich mittig durch die dunklen Stangen zog. Mein Eindruck waren starke und lange Stangen, vom Bock sah ich nur, dass er noch grau war. Der Wildkörper war nicht anzusprechen, da der Bock spitz auf mich zu stand. Diesmal war ich mir sicher, das musste er sein. Dort unten waren auch die entdeckten frischen Fegestellen vom März. Vorsichtig griff ich zur Waffe, stellte auf niedrige vierfache Vergrößerung und ging in Anschlag. Doch so sehr ich auch suchte, es war zu dunkel, der Bock war nicht ins Zielfernrohr zu bekommen. Ich nahm wieder das Fernglas- da stand er und fegte immer noch. Langsam wieder die Waffe auf den Bock ausgerichtet, es ging einfach nicht, es war noch zu dunkel. Eine nervliche Zerreißprobe begann, würde er solange aushalten, bis genügend Licht war? Wieder griff ich zum Fernglas, um weiter zu beobachten, schaute auf die genau gemerkte Stelle- der Bock war weg! Verdammt noch mal, das gibt’s doch nicht. Er ist bestimmt an Ort und Stelle niedergetan, ein Geräusch, dass er absprang hatte ich nicht gehört. Immer wieder suchte ich systematisch die Fläche ab- der Bock war weg. Mittlerweile war seit einer Stunde volles Licht, die gefegte Douglasie klar zu erkennen. Was nicht mehr in Anblick kam, war der Bock. Das kann doch nicht sein, die dritte Saison spürte ich ihm jetzt nach und kam nicht zu Erfolg. So langsam fielen mir jetzt auch Spitznamen wie „elendes Drecksvieh“ ein, obwohl es ja völlig sinnlos war, den Bock zu beschimpfen, der „Dumme“ war schließlich ich.


Ich beschloss mich zu entspannen und die Stelle erst einmal zwei Wochen in Ruhe zu lassen. Ausdauer, Zähigkeit und Geduld führten bei der Jagd schließlich meistens zum Erfolg. Man darf nur nicht versuchen es zu erzwingen, dann passieren Fehler.


In der vorletzten Maiwoche ging ich früh wieder hin. Der Ansitz verlief ohne Anblick des Bockes. Schon zum Abbaumen auf der Leiter stehend, ließ mich das Geräusch anwechselnden Wildes erstarren. Wieder kam ein Knopfbock von oben aus den Eichen. Kaum 20 Schritte hinter der Leiter warf der Bock auf und wir sahen uns in die Augen. Der Jährling konnte aufgrund seiner Unerfahrenheit die Situation nicht richtig deuten und zog zögernd noch ein Stück weiter auf mich zu. Als er kurz hinter einem Holunderstrauch verschwand, nahm ich die Waffe hoch. Als er wieder auftauchte verhoffte er erneut und stand breit. Im Knall riss es ihn zu Boden, worauf er sich noch einmal aufnahm und nach weiteren 20 Metern Flucht endgültig lag.


Bevor der Mai vorbei war und ich Jagdruhe bis zur Blattzeit hielt, wollte ich es noch einmal probieren. Ich wählte einen sonnigen, windarmen Maiabend und ging schon 18:00 auf den Sitz. Der Abend war wunderschön, fehlte nur noch der Bock. Gegen 20:00 Uhr teilten sich 60 m unterhalb von mir urplötzlich und ohne jede Vorankündigung die Fichten und ein Jährling verfolgt von dem vormals gesehenen starken Bock schossen heraus. Der Alte- und ein solcher war es, wie sich jetzt ohne Zweifel feststellen ließ, brachte den Jährling ordentlich auf Trab. Von hinten fuhr er ihm mit dem Gehörn in die Weiche und hob ihn regelrecht aus. Der Jährling machte eine Flucht von 20 m und sah sich nach dem Verfolger um. Dieser ließ von ihm ab und beide scheinästen synchron etwa 25 m auseinander, die Häupter einander abgewandt mitten in der Fichtenkultur. In meinem fiebrigen Jägerhirn dämmerte die Einmaligkeit einer solchen Chance. Bockdoublette!

Der Jährling äste jetzt richtig, als sei nichts gewesen, der Alte sicherte schon in Richtung Einstand. Und dann machte ich- der geneigte Leser möge mir verzeihen in meiner Gier nach der Doublette den nicht nachzuvollziehenden Fehler, zuerst den Jährling zu beschießen. Absehen hinters Blatt- bumm- liegt- durchrepetieren (ich sehe die 8,5x63 Hülse heute noch am Rande meines Gesichtsfeldes durch die Luft fliegen) nach rechts schwenken und den Alten ins Visier nehmen…. Ende! Aus! Chance vertan! Eben sehe ich die Fichten hinter dem abspringenden Bock zusammenschlagen.

Du elender Blödmann, hämmert mein Unterbewusstsein in mein Gehirn. Du hättest ihn haben können. Welcher Idiot beschießt erst den Jährling und nicht den Alten? Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger weiß ich warum. Auch heute nicht. Tja, jung vor alt- das wurde einem immer beigebracht, ob ich deswegen so gehandelt habe? Ich weiß es nicht.

Der Jährling war sauber getroffen, trotzdem fühle ich mich wie nach einer schweren Niederlage. Warum nur, sagt meine Frau und lacht mich aus, als ich es ihr erzähle, „ist doch nur ein Bock. Stell dir mal vor, du hättest ihn jetzt, dann wäre alles vorbei. Die Spannung, das Erleben, die Ungewissheit. Alles aus. Ende. Strich drunter. Heute würdest du ihn wässern, morgen abkochen und dann im Jagdzimmer an die Wand nageln (das sagt sie immer, als wenn man da einen Nagel durchschlagen würde- wie sich das anhört!).“ Recht hat sie, ist ja nichts passiert und daher auch kein Staatstrauertag. Ich beschließe, sein Reich bis zur Blattzeit volle zwei Monate in Ruhe zu lassen und dann auch nur einen einzigen Versuch zu wagen, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.


Zur Blattzeit bin ich bei Freunden und kann zwei gute Böcke strecken. Auch in meinem Revier erlege ich an einer anderen Stelle noch einen guten Rehbock. Dann endlich, es geht schon auf das Ende der zweiten Augustwoche, versuche ich es auf den Alten. Morgens natürlich, damit habe ich immer die besseren Erfahrungen gemacht. Man hat den Tag vor sich, nichts drängt zur Eile.

Ich gehe zur Blattzeit immer erst in der Dämmerung zum Blattstand, um nicht im Dunkeln das Wild zu vertreten. So gegen 05:00 Uhr schleiche ich den Weg hoch zur Scherenleiter. Auf der Kulturfläche plötzlich ein Knacken und Brechen, gespannt schaue ich mit dem Glas hinüber. Ein starker Hirsch steht am Rand der Fichten, keine 50 m von mir entfernt und dreht mit dem Geweih eine Eberesche (wie ich später feststelle) zu einem Strick zusammen. Als der Hirsch seine Seilertätigkeit beendet hat, sichert er noch eine Weile nachdenklich über den Schlag hinweg, um dann urplötzlich in scharfem Troll parallel zu mir den Hang hinaufzuziehen. Der Wildkörper ist stark, sein Träger dick, der Hirsch scheint in der Vollkraft seiner Jahre zu sein. Ich gebe ihm neun, vielleicht zehn Jahre. Zum Schuss kann ich mich nicht entschließen, obwohl alle Forstbediensteten einen 1er freihaben. Etwas mehr Licht zum Ansprechen müsste man schon haben und richtig reif, also 12 Jahre und älter schien er mir nun auch wieder nicht.

Die Hirschbrunft kommt ja bald und vielleicht sieht man sich wieder.
Ich pirsche weiter Richtung Sitz und schaue gerade mit dem Glas zur Salzlecke hinunter, als sich direkt davor aus dem Schatten des Waldes zwei Rehkörper lösen und den Hang hinauf abspringen. Das zweite, hintere Stück war deutlich stärker als das erste, soviel kann ich noch erkennen. Das Wild ist zwar abgesprungen, hatte aber nicht geschreckt. Vermutlich habe ich gerade den gesuchten Bock mit seiner Gespielin vertreten. Ich beziehe trotzdem meinen Stand und warte in aller Ruhe erstmal volles Tageslicht ab. Bis 06:00 halte ich Ruhe dann greife ich zum Rottumtaler. Meine Waffe und Sitzposition richte ich grob in Richtung des abgesprungenen Wildes aus. Zwei Serien Sprengfiep, dann lasse ich den Blatter sinken und gehe in meinem Stand soweit wie möglich in Deckung, die Waffe im Voranschlag und verharre. Nach wenigen Minuten vernehme ich das typische Rascheln zustehenden Wildes aus der Richtung des vorhin abgesprungenen Pärchens. Dann Stille, mehrere Minuten kein weiteres Geräusch. Plötzlich kommt der Bock im Troll aus den Eichen und stichgerade auf meinen Sitz zu. Aber ist das „mein“ Bock? Die Stangen sind gut vereckt, scheinen mir aber zu niedrig. Auf dreißig Schritt verhofft er spitz vor meinem Stand, wird unruhig, tänzelt und ist im Begriff abzuspringen. Jetzt oder nie! Ruhig nehme ich die Waffe hoch und habe den Bock auch sofort im Absehen, als er abspringt, wieder verhofft, wieder abspringt und schließlich im Troll wieder denselben Wechsel zurück nimmt. Als er wieder in die Eichen zurückwechselt und für einen kurzen Moment verhofft, erkenne ich am Habitus einen jüngeren, vielleicht drei- bis vierjährigen Bock. Ich schieße nicht, trotzdem war es verdammt spannend.
In Gedanken lege ich mir eine Erklärung zurecht. Der erst Abgesprungene mit dem weiblichen Stück war bestimmt der „Alte“, der fest bei dem brunftigen weiblichen Stück stand und sich durch die Blattarie natürlich nicht von dem weiblichen Stück hat weglocken lasse. Der Bock, der mir zustand war ein anderer, im Rausch der Brunft suchender Bock.

Für dieses Jagdjahr war es das dann für mich mit dem Bock. Im September bin ich noch einmal an der Fläche und erlege Ricke und Kitz. Der Bock kommt nicht in Anblick. Die Drückjagd wird spät in diesem Jahr in meinem Revier durchgeführt, ein starker Rehbock kommt aber dabei nicht zur Strecke sodass ich auf ein Wiedersehen im neuen Jagdjahr hoffte.



Ende Februar 2016 entdecke ich wieder die obligatorischen frischen Fegestellen des Bockes, diesmal vor allem im Bereich der Salzlecke. Mein Hotspot ist etwas zugewachsen und die Stihl und ich haben einen Nachmittag lang zu tun, für jagdliche Sichtfreiheit zu sorgen.

Zum Aufgang der Bockjagd sitze ich wieder auf meiner Scherenleiter. Es ist kalt, -2°C zeigte das Thermometer heute früh. Darüber sinnierend, was wohl dieses Jagdjahr mit dem Bock wird, schaue ich im ersten Licht mit dem Fernglas den Forstweg hinunter und sehe just in dem Moment wie ein starkes Reh zügig auf 100 m aus den Eichen heraus über den Weg in Richtung Salzlecke wechselt. In der Eile war es schlecht anzusprechen, aber vom Habitus her, schien es mir ein im Wildbret starker Bock zu sein. Kein Wunder bei Eichelvollmast und mildem Winter.

Zehn Minuten später, das Licht reicht geradeso zum schießen, fegt und plätzt es schräg rechts unter mir. Aha, dann nimmt der Bock also den zugewachsenen Wechsel über der Straße und wird mir hoffentlich in Anblick kommen. Während ich darüber nachdenke, wo er vielleicht austreten wird, sehe ich schräg rechts unter mir auf 30 m eine Bewegung. Vorsichtig nehme ich das Glas hoch und habe sofort den Bock in Anblick. Er ist es! Kein Zweifel! Starker Wildkörper, dicker Träger, gute lyraförmige Stangen mit seitlich am Haupt klebenden Dachrosen. Der Bock zieht vertraut rechts an mir vorbei und wird mir bald in den Wind kommen. Eine sehr schwierige Situation, da der Bock sehr nah ist, kann er meine Bewegungen leicht wahrnehmen. Vorsichtig setze ich den Gehörschutz auf und greife nach der Waffe. Ich wende mich nach rechts hinten und sehe den Bock direkt vor dem Weg verhoffen. Ich schiebe die Sicherung nach vorn, hebe so leise wie möglich die Waffe und gehe von hinten mit dem feinen Absehen ins Blatt. Jetzt hat der Bock meine Bewegung gesehen, ruckartig fliegt sein Haupt nach oben, die Läufe spannen sich bereits zum Sprung. In diesem Moment habe ich die Waffe fertig eingezogen und bin mit dem Absehen hinter dem Blatt. Im Knall der .270 Win setzt sich der Bock auf die Keulen, sackt nach rechts, schlegelt etwas und ist verendet. Mechanisch öffne ich den Verschluss, entnehme die leere Hülse, stecke sie ein, repetiere eine neue Patrone in die Kammer. Vorsichtshalber bleibe ich noch einige Minuten im Voranschlag, doch der Bock rührt sich nicht mehr. Ich sichere die Waffe wieder und entspanne mich. Über eine Stunde noch, bleibe ich auf meinem Sitz, erst dann gehe ich die 30 m hinüber zum Bock. Er ist es wirklich!

Anhang anzeigen 34796
Er liegt!


Anhang anzeigen 34797
In guter Gesellschaft...


Epilog:


Ob es nun tatsächlich „der“ Phantombock war, dem ich mir einbildete all die Jahre nachgespürt zu haben, sei dahingestellt. Aber die Ereignisse passten so gut zusammen, dass ich daran glauben will. Soll der Leser sich selber eine Meinung bilden.

Beim Abkochen jedenfalls stellte ich fest, dass er sogar noch älter war, als ich dachte. Die Schädelnaht ist ganz dicht, die Nasenscheidewand bis vorn in den Nasenschwamm verknöchert, die Knochenhaut ließ sich nur mit der Zange vom Schädel abziehen. Das Hinterhaupt voller Dellen und Löcher vom Forkeln und Kämpfen mit anderen Böcken. Der Unterkiefer zeigt allerdings nur den Abschliff eines vier- bis fünfjährigen Bockes. Aber wer weiß das schon genau…?

Meine Frau hatte natürlich Recht. Die ganze Spannung, die vielen Wenn- und- Aber, die das Nachspüren erst so interessant machten, sind erstmal dahin. Aber wer weiß, welche Fegestellen ich nächstes Frühjahr dort finde…!

Bis dahin, Pinus
 
Zuletzt bearbeitet:
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Waidmannsheil aus de niederlande und danke fur die geschichte mit schöne bilder!!
 
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30 Sep 2010
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1.736
Waidmannsheil Pinus!

Vielen Dank für die packend geschriebene, spannende Geschichte.
Man hat beim lesen das Gefühl, dabei gewesen zu sein. Danke auf dafür!
 
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11 Aug 2012
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3.877
Top!
Da musst Du aber lange dran geschrieben haben... und das Ergebnis kann sich sehen lassen, auch vom Sprachlichen her!

Eine klitzekleine Frage hätte ich aber:
Wie schmeckt denn so ein Eichelmast-Reh?
 
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6 Jun 2006
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2.997
Waidmannsheil! Sehr schön erzählt und ein tolles Erlebnis!

Ich gebe allerdings gerne zu, dass mein Hund, der in diesem Moment noch auf seiner Decke tief geschlafen hat, erschrocken aufgesprungen ist als ich mir beim Lesen dieser Passage laut mit der Flachen Hand auf die Stirn geschlagen habe :biggrin:

Der Jährling äste jetzt richtig, als sei nichts gewesen, der Alte sicherte schon in Richtung Einstand. Und dann machte ich- der geneigte Leser möge mir verzeihen in meiner Gier nach der Doublette den nicht nachzuvollziehenden Fehler, zuerst den Jährling zu beschießen
 
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1 Sep 2014
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Kräftiges Waidmannsheil! Und vielen Dank, dass du dir die Mühe des Niederschreibens gemacht hast. Es war ein Vergnügen, die Geschichte(n) zu lesen!
 
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27 Jun 2010
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Auch von mir ein kräftiges Waidmannsheil! Es war wirklich spannend und unterhaltsam geschrieben. Eine tolle Geschichte aus dem Jägerleben!

Danke, dass Du dir die Zeit genommen hast,um uns an Deinem Erfolg teilhaben zu lassen!
 
Registriert
17 Jul 2006
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307
THX für diesen tollen Bericht, der sich deutlich positiv abhebt.

Ich freue mich schon jetzt auf eine Fortsetzung:roll:

WMH WW
 

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