Die Ballade vom Jäger und der Tierschutzaktivistin

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Liebe Foristi,

zu Weihnachten ein kleines (naja... so klein ist es nicht) Gedicht über eigentlich unversöhnliche Welten, das vielleicht etwas Hoffnung machen soll, wo es fast keine Hoffnung mehr gibt. Aber es ist Weihnachten. Wann, wenn nicht dann, würde das mit der Hoffnung sonst passen....
Weil es so lang ist, kommt es in zwei Teilen.

Viel Freude damit. Fröhliche & gesegnete Weihnachten!


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Jäger & Beute


erste Szene

Es zogen aus auf viel Gewinn
zwei Jäger, zwei Geschlechter
zwei Welten, zwiefach Doppelsinn
zwei feindselig Verfechter


Sie, äußerlich urban, gepflegt
war innerlich Empörung
ihr wortreich Handwerk angelegt
auf Pranger und Zerstörung


für ihn, der wie durch ein Visier[
die Welt besah und straffer
schien als ein hochgespanntes Tier
war Jagen auch Metapher


sie log, es wäre Empathie
auf dass sie ihn beförder
zur Ächtung denn er war für sie
nichts and'res als ein Mörder


sein scharfgeübter Blick indes
erfasste sie recht zügig
als eine Bolschewikin, kess,
steinhart und ungefügig


Er:
(So komm nur, komm, begleite mich
sollst sehen das Geheimnis)


Sie:
(Wohlan, ich will und streite nicht
bis mein sein wird was dein ist)



zweite Szene

der Jäger fuhr - nicht sanft, nicht sacht
weit über Felderflächen
er schwieg, drum fand sie's angebracht
ihn nicht zu unterbrechen


dann ging es aus der Ebene
auf unbekannten Wegen
durch Nebel und durch Regen
durch Schneegestöber fegend
in gottverlass'ne Gegenden
auf hochgeleg'ne Ebenen


für sie durchaus bewegend denn
die Landschaft war erhebend und
sein Tempo sehr erregend denn
auf diesen wilden Fährten schien
er mehr und mehr zu werden wie
ein heiß jagendes Tier


in die Berge, immer munter
rauf, der Wald ward stetig dunkler
höher, tiefer, stärker, jäher
knarzig krächzt' der Eichelhäher
Stund' und hundert Kilometer
steinig enge Kurven später
kam der Ort dann endlich näher
den der Jäger ausersehen


sollte es ihr dort geschehen
bei den Hirschen, bei den Rehen?
welch ein albernes Klischee
also prüfte sie die Waffen:
Kamera und Dekolleté -
alles gut und wohlbeschaffen
trotzdem suchte ihr Sonar
ob all dies nicht dumm, ja gar
ein g r o ß e r F e h l e r war


sie räusperte sich vorsichtig
"Darf ich mal etwas fragen?
Was machen wir hier eigentlich?"
er brummte mürrisch: "jagen"



dritte Szene

vor Ort schien ihr als ob er sich
an irgendwas erfreue:
"der Wind is gut, 'sis net zu frisch
sogar ae leichte Neue
und Mond hammarae mehr als g'nua
wenn's Glück ham gibt's a Beute"
dann ging er los und trat die Spur
behutsam ins Verschneite


sie folgte ihm, die Tasche streng
geschultert, sehr entschlossen
und doch war ihr die Kehle eng -
die Vorstellung: erschossen


(nur zu, mein Freund, ich fürcht' mich nicht
ich werd's dir schon verderben
wenn's kommt dann tu' ich meine Pflicht
heut Nacht wird kein Tier sterben)


sein Urteil wiederum war harsch:
Reporterungeziefer
so schlichen sie im Gänsemarsch
zum Hochsitz an der Kiefer


Nach einer Stunde Warten fing
sie sichtbar an zu frieren
er reichte ihr ein Fell: "umschling
ma uns damit die Nieren."


Ihr beider Atem, weiß wie Rauch
sich wölkte und durchquerte
da war sie ihm doch dankbar, auch
wenn die Moral sich wehrte



vierte Szene

"Dahier, schaun's einmal durch das Glas!
Ein Hirsch, dort auf der Wiesen"
Sie nahms."Gebn's zu - es macht Ihn' Spaß
die Tiere zu erschießen!"


Er schüttelte den Kopf und sprach
"Sein's bittschön etwas leiser.
Am End' wern sie's scho sehn, Gemach,
dann sammer alle weiser."


Der Hirsch zog langsam an den Rand
der mondbeschien'nen Lichtung
besann sich aber dann und fand
dass links die bess're Richtung


er schritt so majestätisch drein,
im grauen Schattenwandel
ein König, gravitätisch, fein
mit Krone und mit Mantel


in Zeitlupe ging das Gewehr
nach vorne in den Anschlag
ihr Blick ganz starr, das Herz ganz leer
wie unter einem Bann


der Jäger konnte wie kein Mann
Erregung beinah' wittern
er rührte sie beruhigend an
da legte sich ihr Zittern


nun wusste er, er hatte sie
obwohl sie beide schwiegen
er nahm die Hand von ihrem Knie
und ließ die Kugel fliegen


der Schussknall ließ sie mucken
derweil sie durch das Fernglas sah
des Hirsches Flanke zucken
doch der stand weiter reglos da
als könnt' er nicht verstehen
wie's nun sollt' weitergehen
eine halbe Ewigkeit
in Wahrheit nur recht kurze Zeit


dann brach er über Tannen-
Reisig krachend laut zusammen



(Fortsetzung unten...)
 
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(Fortsetzung...)

fünfte Szene

sie stierte ganz betroffen
als stünd' die alte Pforte
zum Jenseits gähnend offen
und rief sie zu dem Orte


sie konnte nicht mal weinen
auch wütend war sie nicht
nur Kälte in den Beinen
und Hitze im Gesicht


ein ungeheures Beben
das keinen Kompromiss
mehr wollte, nur noch Leben
[so dass sie fast zerriss


als läg' sie selbst verwundet
und blute grade aus
vergessen, unerkundet
ein hingeworfner Strauß


der niemals etwas schmückte
der stets sich unterdrückte
der niemandem erblühte
und nur nach innen glühte


verschwendet an die Leere
so schwer, unsagbar schwer
es stach wie tausend Speere
und ging, nein ging nicht mehr


der Jäger wandte ihr Gesicht
sich zu, merkwürdig weich
sie war im hellen Mondenlicht
erschütternd schön und bleich


doch spielten ihre Augen nicht
ihm einen schlechten Streich?
ihm schien, was er da klar und schlicht
erblickte, viel zu reich


ein irr tanzender Film, entfacht
mit all den Möglichkeiten
an die er ach so oft gedacht
in längst vergang'nen Zeiten


Sie:
(So komm nur, komm, begleite mich
sollst sehen das Geheimnis)


Er:
(Wohlan, ich will und streite nicht
bis mein sein wird was dein ist)



sechste Szene

es kamen auf verschlung'ner Bahn
die Lippen sich entgegen
und alles wurde Ozean
und alles sank dahin
im Ruhen und Bewegen
kein Ende kein Beginn
ein Schwelgen ohne jeden Plan
ein Balsam wider allen Wahn
als könnte nie ein anderer
Moment je existieren
als wärn sie Pilger, Wanderer
die am Altar campieren


die Hand fuhr gütig durch ihr Haar
er sah nur noch die Frau
und wieviel da an Leben war
begriff er ganz genau


sie flüsterte ihm in sein Ohr
"Ich muss noch einmal fragen:
wir machen uns doch etwas vor?"
er lächelte: "wir jagen"


da riss ein lauter Vogelschrei
die Stille dieser Nacht entzwei
die Frau sah ernst an ihm vorbei:


"Ich kann jetzt niemals mehr zurück
ich bin geflogen und gefallen"


"Ich weiß. Es liegt bereits im Glück
der Schmerz. So geht's uns allen"


"Ist das die Weisheit, die du meintest - "

"Still. Ich will nicht, dass du weinst!"

" - als du die Lust am Tod verneintest?"

"Vielleicht verstehst du's ja dereinst..."

"Immer diese überhöhten
Reden. Siehst du's denn nicht? Nein?
Wonach ich jetzt grade strebe?"


"Man ist auf der Welt allein...
darum muss ich manchmal töten:
um zu spüren dass ich lebe..."


"Ach du Narr, du Narr der Narren
dazu musstest du mich karren
hierher in den kalten Wald?"


"Du bist jung und kannst's nicht wissen
ich hingegen längst verschlissen
bin ja älter schon, bald alt"


"Hat denn nicht der Hirsch sein Leben
auch für meines hergegeben?
Komm ich, ob's mir nun gefällt
nicht auch heim in d e i n e Welt?"


"Nein. Nur in Erinnerung
du stolzes Mädchen aus der Stadt
bleiben wir Gewinner
in Wahrheit sind wir längst schachmatt
Beute sind wir. Du bist meine
und auf immer ich die deine
jener Wunsch und dieses Leiden
lässt sich scheinbar nicht vermeiden"


"Wie du willst. Ich glaub es nicht!
werde immer weiter suchen
wo man schweigt und wo man spricht
unter Haselnuss und Buchen
bis der Krug am Stein zerbricht"
 
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