Süddeutsche Zeitung; 03.04.2001 S. V2/15
Jagd auf die engsten Verwandten
von Förderer, Tim
Ihr Fleisch wird über dem Feuer geräuchert. Ihre Hände werden als Aschenbecher oder sonstige Mitbringsel verkauft. Und ihr
Nachwuchs vegetiert als Haustier an Bäume gekettet vor sich hin: Menschenaffen, unsere nächsten Verwandten im Tierreich, sind in
vielen Ländern ihrer Heimat schonungsloser Verfolgung ausgesetzt. Aber auch andere Affenarten sind betroffen, manche stehen kurz
vor der Ausrottung.
Nun startet der Tiergarten Heidelberg zusammen mit der Gemeinschaft Deutscher Zooförderer (GDZ) und der West African Primate
Conservation Action (WAPCA) ein Programm zum Schutz der bedrohten Roloway-Meerkatze und der Weißscheitelmangabe im
afrikanischen Ghana. Zunächst soll dort eine Biologin geeignete Schutzgebiete auswählen.
"Diesen beiden Arten steht sonst das gleiche Schicksal bevor, wie dem Miss Wauldrons- Stummel- oder Colubus-Affen", sagt die
Biologin Sandra Reichler, Koordinatorin des Projektes. Diese seltene Unterart des Roten Colobusaffen war vergangenes Jahr von
einem Expeditions-Team amerikanischer Wissenschaftler für ausgestorben erklärt worden: "Auf unserer Expedition durch die Wälder
der Elfenbeinküste und Ghanas fanden wir keine Überlebenszeichen dieser lauten Affenart", sagt Scott McGraw, Primatologe an der
Ohio State University. "Einige Teile der Wälder fanden wir leergewildert. Ein gesunder Wald ist voller Tiergeräusche - dort hörte man
nichts mehr", sagt McGraw. Statt dessen stolperten die Forscher über Fallen und Patronenhülsen.
Tonnenweise Wildfleisch
Roloway-Meerkatzen und Weißscheitelmangaben leben in den selben Gegenden wie vormals die Colobus-Art. Würden auch sie
ausgerottet, käme dies fast einem ungewöhnlichen Massensterben jener Arten gleich, die dem Menschen am ähnlichsten sind.
Denn den letzten Trauerfall im Affenreich hatten Biologen zuvor im 18. Jahrhundert zu beklagen - damals bei einer Art auf Jamaika
(Conservation Biology, Bd. 14, S.1526, 2000).
Zwar ist die Jagd auf geschützte Tierarten in weiten Teilen Afrikas verboten, aber die Gesetze greifen nicht immer. Die Jäger
profitieren von besseren Straßen, die von den großen Holzbaufirmen in den Wald geschlagen werden. "Die LKW dieser Firmen
transportieren oft sogar die Jäger samt ihrer Beute", klagt Roman Wittig, Primatologe am Max-Planck-Institut für Evolutionäre
Anthropologie in Leipzig und Mitarbeiter der Wild Chimpanzee Foundation (WCF). Längst seien es nicht mehr nur kleine Bauern, die
sich Fleisch für den Eigenbedarf holen. "Die Jagd wird im großen Stil betrieben", bestätigt Sandra Reichler. Über eine Million
Tonnen Wild- oder Buschfleisch, von Affen bis zu Elefanten, Flusspferden und Kleintieren, werden so jedes Jahr aus der
afrikanischen Wildnis in die Städte transportiert. "Dort hat das Fleisch bei reichen Afrikanern einen hohen Status ", sagt die
Biologin.
Trotzdem wird die Jagd gerne als "Tradition" bezeichnet. Das sieht Schimpansenforscher Wittig anders: "Die Jagd mit Gewehr hat
nichts mehr mit Tradition zu tun", sagt er. Viele angeblich traditionelle Jäger kämen nicht einmal aus den Dörfern in der Nähe der
Wälder.
Mit einer Reihe von Maßnahmen wollen die Forscher nun gegen die Affenjagd vorgehen. "Zunächst müssen die bestehenden
Gesetze durchgesetzt werden", sagt Wittig. Dazu hofft er auf die Hilfe der Bevölkerung. "Wir müssen aufklären und die
Einheimischen mit der Frage konfrontieren: Was bedeutet der Affe für uns?", sagt Wittig. Einige Stämme sehen Schimpansen als
"die anderen Menschen des Waldes" an und würden sie niemals jagen. "Das gilt aber nicht für alle Einheimischen", bedauert Wittig.
Mit Theaterstücken vor Ort, von Afrikanern für Afrikaner, will die WCF nun etwa Schulkinder für den Tierschutz gewinnen.
Asyl für Beutetiere
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die WAPCA, die erwähnte Initiative europäischer Zoos und Artenschutzorganisationen. In
Auffangstationen sollen dabei beschlagnahmte Tiere Asyl erhalten. "Solche Stationen bieten auch eine gute Möglichkeit, um der
einheimischen Bevölkerung die Schönheit der Tiere nahe zu bringen", so Reichle. Fernes Ziel des Projekts ist der Ökotourismus, mit
dem die Bevölkerung eine Alternative zu Einnahmen aus der Wilderei erhalten soll. Im April wollen die Fachleute mit der Regierung
von Ghana ein Abkommen unterzeichnen. "Das soll uns Sicherheit geben, dass die Regierung hinter dem Schutzprojekt steht",
erklärt Reichler. Außerdem soll ein Mitarbeiter des Projekts prüfen, ob mit Zoos in Ghana eine Zusammenarbeit möglich ist. Im
Sommer soll dann eine Studentin nach Ghana reisen, um nach Roloway-Meerkatzen und Weißscheitelmangaben zu suchen.
"Wenn ein geeigneter Wald gefunden ist, in dem noch ausreichend Tiere leben, startet das Schutzprogramm", sagt Reichler.
Bildunterschrift: Solche grausamen Funde von getöteten Affen machen Wissenschaftler in vielen afrikanischen Ländern immer
wieder. Denn oft werden unsere nächsten Verwandten vor allem als beliebtes Jagdopfer angesehen,...