... 75 Jahrestages des Kriegsendes ...
Wieso hat es noch eine Woche nach dem Selbstmord von AH bis zur vollständigen Kapitualtion gedauert?
Auf das zusammengebrochene Nachrichtenwesen sowie die aufgeriebenen und teils versprengten deutschen Truppen wurde oben hingewiesen.
Der zentrale Grund für die verstrichene Woche liegt allerdings darin, dass von deutscher Seite aus taktiert, d.h. der Kapitulationszeitpunkt ganz bewusst hinausgezögert wurde, und zwar um mit den gewonnenen Tagen möglichst vielen deutschen Soldaten und Flüchtlingen die Möglichkeit zu verschaffen, aus dem Bereich der Roten Armee herauszukommen und sich den westlichen Alliierten ergeben zu können.
Das ergibt sich eindeutig aus den letzten Akten des OKW und ist nachzulesen beispielsweise in Schultz-Naumann: Die letzten 30 Tage, in Shirer: Aufstieg und Fall des Dritten Reichs, sowie in ein paar anderen einschlägigen Standardwerken.
Warum es für deutsche Soldaten und Flüchtlinge so wichtig war, aus dem Bereich der Roten Armee herauszukommen, soll hier nicht erörtert werden. Es war jedenfalls ganz wichtig.
Eisenhower (siehe diesbezüglich seine Memoiren) erkannte die Verzögerungstaktik, brachte angesichts der Hintergründe Verständnis auf und spielte zunächst mit, hatte nach ein paar Tagen der "Vorspiegelungs- und Verzögerungstaktik" (seine Worte) dann allerdings die Faxen dicke und setzte dem Treiben schließlich ein Ende, indem er androhte, den Durchgang weiterer deutscher Flüchtlinge durch die Linie der Westalliierten mittels Gewalt zu verhindern.
Daraufhin erfolgte unverzüglich die Kapitulation, und zwar am 7. Mai um 2.41 Uhr in einer kleinen Schule zu Reims vermittels Friedeburg und Jodl. Letzterer durfte ein paar Sätze sagen. Falls ich es gerade richtig im Kopf hab: "Mit dieser Unterschrift sind das deutsche Volk und die deutschen Streitkräfte auf Gedeih und Verderb der Hand des Siegers ausgeliefert. .. Ich kann in dieser Stunde nur die Hoffnung ausdrücken, dass der Sieger sie mit Grossmut behandeln wird."
Apropos:
Der Ausgangsfrage liegt offenbar ausgehend vom Begriff Kriegsende der Eindruck zugrunde, dass es einen exakten Zeitpunkt des Endes des Verhängnisses gegeben hätte und es insofern auf eine Woche mehr oder weniger angekommen wäre. Genau besehen ist dies allerdings überhaupt nicht der Fall:
“For Germany, May 8, 1945, became known as “The Hour Zero”—the end of a nightmare and the beginning of a dark, uncertain future. Most assumed, no doubt, that awful though the coming weeks and months would be, the worst was nevertheless behind them. But these people were wrong. The worst yet lay ahead. Though the shooting and bombing had indeed stopped, the war against Germany continued unabated. World War II was history’s most catastrophic and terrifying war, but what still lay ahead would prove, as Time magazine later phrased it, “History’s most terrifying peace.””
Goodrich, Thomas: Hellstorm – The Death of Nazi Germany 1944 – 1947, 2010, S. 279.