Lebenskeiler #1

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Kannst Du Dich noch erinnern?
Letztes Jahr waren hier in der Buchenverjüngung die Sauen fest.
Ja ich kann mich sehr wohl erinnern.
Nicht nur an die Sauen, sondern insbesondere auch dem geschuldeten Umstand der daraus entstandenen Tierarztrechnung für meinen Terrier Veith.

Heute sind die Bedingungen deutlich unangenehmer als im Vorjahr.
’Polnischer Nebel’ und der grau verhangene Himmel, der wenig Hoffnung auf Wetterverbesserung verspricht, seit dem ersten ‚Hopp-Hopp’ der Hundeführer im regennassen, frühherbstlichen Mischwald.
Leider ist die Anzahl der Hunde in diesem Jahr ein wenig dürftig im Bezug zur bejagenden Fläche, so dass ich wenig Hoffnung habe, dass eine ausreichend große SW- Wild Strecke im abendlichen Fackellicht verblasen werden kann.

Ich bestätige die Aussage meines neben mir gehenden Hundeführers.
Zumal die Tatsache, dass mein Terrier, nur auf seinen Hinterläufen stehend, in Richtung der Buchenverjüngung sich Wind holend’, nur zu deutlich anzeigt, dass etwas ‚im Busche’ ist.
Sekunden später- Standlaut.


Keiler nach oben!
Keiler nach rechts!

Waffe runter, gespannt und in Richtung Standlaut hang aufwärts gerannt.

Ho Rüd ho und Hunde voran!

Ein Flintenschuss durchhallt das Buchenaltholz. Die Schrote prasseln in die Buchenverjüngung die ich gerade frontal anlaufe.
Ein weiterer Büchsenschuss donnert durchs Buchenaltholz.
Bevor ich darauf reagieren kann, dreht sich der nunmehr in Hetzlaut übergehende Laut meines Hundes in meine Richtung.

Keiler nach unten!

Nur wenige Meter trennen mich von der regennassen, „grünen Wand“. Meine Hände umklammern die Büchse. Das Herz schlägt mir bis zum Hals.

In diesem Augenblick endet mein gewohntes Zeitgefühl. Die nächsten drei Sekunden verstreichen in Zeitlupe.


Die Sau durchstürmt die Buchenverjüngung in meine Richtung. Noch kann ich dies nur akustisch verfolgen. Äste knacken und bersten. Jetzt wird er für mich sichtbar. Das Regenwasser spritzt aus der dunklen Schwarte dieses immer größer werdenden Urians. Hang abwärts stürmt er frontal auf mich zu. Ich weiche instinktiv aus- schieße aus kurzer Distanz und werde am rechten Oberschenkel vom Gewaff getroffen. Dank der M.- Beinlinge erfreulicher Weise ohne die geringste Verletzung. Auf dem Rücken liegend wird mein Zeitempfinden schlagartig wieder real.

Die Jagd geht weiter.

Ich sehe Veith, wie er den Keiler aus dem Holz in Richtung Ackerfläche folgt. Andere Hundeführer und ich laufen hinterdrein. An der Waldgrenze angekommen, mit freiem Blick auf den vor uns liegenden, abgeernteten Maisacker sehe ich den Keiler und weitere Hunde, welche sich der Hatz angeschlossen haben und in Richtung Bundesstraße rennen. Die offensichtlich gesunde Sau sowie die sich im Schlepptau befindenden Hunde, kann ich ohne Unterbrechung über sicherlich fünfhundert Meter optisch verfolgen. Mit einem Auge fixiere ich Veith. Mit dem anderen starre ich gebannt auf die noch- glücklicherweise - autofreie Straße.
Nachdem diese, von der groben Sau und den beiden Hunden überstürmt wurde, verschwindet das Trio Infernale im Maisschlag.

Nach einigen Metern auf dem doch recht anhänglichen, regennassen Lehmboden’ werden meine Schritte kürzer. Angekommen an der Bundesstraße verlangsamen sich meine mittlerweile breiigen Schritte. Das Regen-Schweißgemisch tropft aus meinen Haaren und von meinem Kinn. Sinnlos, meine völlig beschlagene Brille wieder aufzusetzen, da diese ihren ursprünglichen Sinn in keinerlei Weise mehr gerecht werden kann.
Die Eckdaten der bisherigen Situation summieren sich in meinem Hirn zu einer suboptimalen Tagesbilanz für meinen Hund.

Ich will zu meinem Hund- ihm beim Kampf mit dem Keiler zur Seite stehen.

Ich muss diese Hatz so schnell wie möglich beenden.

Meine bisherige anaerobe Laufeinlage hat zur Folge, dass ein Verhören der Hetze schwierig ist, da mein wummernder Herzschlag in beiden Ohren diesen, sich immer weiter entfernenden, ständig wechselnden Standlaut - Hetzlaut übertönt. Ich beuge mich nach vorn, stütze mich mit beiden Händen auf meinen Oberschenkel ab und inhaliere tief die feuchtklamme Luft in meine Lungen.

Einmal. Zweimal. Ein letztes Mal.

Dann richte ich mich auf, schlittere mit meinen schweren, verschlammten Stiefeln über die, immer noch erfreulich unbefahrene Strasse und verschwinde ebenfalls im Maisschlag, der vor wenigen Minuten meinen Hund und den Keiler verschluckt hat.
Ein anderer Hundeführer folgt dem Hetzlaut seines Hundes mit massiver akustischer Unterstützung von der gegenüberliegenden Maiskante.

Der Standlaut ist schwierig zu orten. Immer dann, wenn ich mich dem vermeidlichen Bail nähere, rauscht es im Stangenmeer und die Hatz entfernt sich wieder von mir. Sicherlich bin ich mehr als zwanzig Minuten ohne die geringste Verbesserung der Situation durch den Mais gestolpert und habe nichts erreicht.

Mit jedem Richtungswechsel erhöht sich mein Adrenalinspiegel. Ich fluche laut. Die Angst um meinen Hund, der sich durch seine bisherige, offensive Herangehensweise bei solcherlei „Gehaltsverhandlungen“ nicht unbedingt als ein besonnener und kompromissbereiter Rhetoriker bewiesen hat, lässt mich noch schneller kreuz und quer durch die Reihen laufen.

Lauf Junge!
Lauf!


Veith kämpft einen ungleichen Kampf und ich bin zu dämlich, um präzise zu sein- bewaffnet und zu dämlich, diesem „Gewühle“ ein schnelles Ende zu bereiten.

Durch einige wenige Maisreihen hindurch sehe ich meinen Hund, wie er vor dem Bassen im Halbkreis tanzt und nach den Tellern fasst.
Offensichtlich hat er aus einer zurückliegenden ähnlichen Situation nichts gelernt.
In dem Augenblick, wo ich ihn wieder anrüde, wendet sich der Keiler blitzartig in meine Richtung und stürmt blasend auf mich zu. Diesmal gelingt es mir auszuweichen.
Weiter geht die Hatz. Viel weiter als bisher.

Die R93 fliegt auf meinen Rücken, ich ziehe meine Mütze tief ins Gesicht und laufe parallel zu den Reihen dem Hetzlaut hinterher. Nach ca. fünfzig Metern erreiche ich die Maiskante. Zwischen mir und dem nächsten Maisschlag befindet sich eine hundert Meter breite Grünfläche.
Ein anderer Terrier kommt auf mich zugelaufen. Sein rechter, äußerer Hinterlauf zeigt eine unschöne Verletzung. Akute Lebensgefahr besteht glücklicherweise nicht.

Auf der Grünfläche laufe ich rechtwinklig bis zur angrenzenden Strasse und auf dieser parallel zum zweiten Maisschlag.

Ohne Probleme kann ich, auf der Straße laufend, was ungleich leichter ist als im Mais, mich dem Standlaut nähern. Als ich mich rechtwinklig dazu befinde, gehe ich langsam weiter, atme tief durch und konzentriere mich. Bisher habe ich nahezu alles falsch gemacht.
Warum kann ich keinen Fangschuss antragen?
Warum?


Mein waidlautes Gejuchtze, basierend auf nicht unwenig Erfahrungen aus zurückliegenden Drückjagden, erscheint mir am heutigen Tag als schlichtweg- falsch.

Jetzt, nun ohne Laut zu geben, trabe ich quer zu den Reihen, mit der Waffe in der Vorhalte in Richtung Bail.
Wie es meine Absicht war, nähere ich mich rückwärtig dem Keiler. Diesmal ist mehr Zeit vergangen die mein Hund den Keiler belustigt hat. Erkennbar dadurch, dass auf einer Fläche von ungefähr fünfzehn Quadratmeter der Mais abgebrochen und zertreten ist. Der ohnehin schwere Lehmboden ist tief, nass und völlig aufgeweicht.

Fast kniend gebe ich auf kurze Distanz, den Umständen entsprechend einen sicheren Schuss auf die linke Keule des Keilers ab. Ich repetiere geistesgegenwärtig.
Dieser klagt laut auf, wirft sich herum, und ich schieße erneut. Die zweite Kugel fasst ihn waidwund. Gänzlich unbeeindruckt davon, mit einer Todesverachtung in seinen Augen, stürmt er mir ein weiteres Mal entgegen.

Wie zuvor im Holze haben wir direkten Blickkontakt.
Ich stolpere rückwärts, so schnell es geht durch die engen Maisreihen. Hochflüchtig, nach fünfzehn Metern, stehe ich wieder allein im Mais.

Mein Pulsschlag hämmert zwischen meinen Ohren. Ich stehe und verhöre.
Immer noch der gleiche Standlaut.
Das kann nicht sein.

Zweimal habe ich getroffen.

Sicher.

Ich repetiere erneut…
Keine weitere Munition im Magazin.
Keine weitere Munition am Mann.

Mein Schweiß, der Regen und meine Rotze laufen an meinem Kinn herunter und tropfen auf den Schaft meiner Waffe. Mein Blick ins leere Magazin bringt die kristallklare Gewissheit, dass es ab jetzt robust weitergehen wird.


Ultima Ratio- mein Abfangmesser.
Ein eingeschlagener Kreisbogen bringt mich, so hoffe ich, wieder rückwärtig an den Keiler.
Meine Hoffnung bewahrheitet sich.

Der „Unzerstörbare“ sitzt auf der linken Keule, die Vorderläufe sind durchgedrückt. Der weiße Schaum am Gewaff schleudert bei jedem Schlag in Richtung meines Hundes.

Wissend der Tatsache, dass dieser erheblich angeschweißt ist, wird Veith immer tollkühner.
Seine unentwegten Versuche diesen an den Tellern zu greifen, erlauben weder Zögern noch analytische Abwägungen hinsichtlich der risikoreichen Situation und deren finalen Ausgangs.


Mein rechtes Knie fährt dem Bassen auf seine rechten Hamer.
Halb auf ihm liegend ergreift meine linke Hand seinen Kamm und hält diesen so fest es nur geht. Mit meiner Rechten gebe ich ihm den Fang.

Das Zurückspringen meinerseits und das Herumwerfen seines Gebrechs in Richtung meines Oberkörpers sind nahezu deckungsgleich.

Mein Hund hängt jetzt fest am linken Teller, was zur Folge hat, dass der mittlerweile rau gewordene Laut meines Hundes nicht mehr zu vernehmen ist.


Ein finales Aufbäumen des Urians endet nach wenigen Metern unmittelbar vor meinen Füßen.

Sein unaufhörliches Klappern mit dem Gewaff lässt mich unverzüglich Veith von seinem Teller rupfen. Den Versuch das Abfangmesser am Schild entlang in Richtung Kamm zu ziehen, verwerfe ich augenblicklich.

Ich trete einige wenige Schritte zurück und wische mir meinen Schweiß aus den Augen und gleichzeitig seinen auf meine Stirn.
Totenstille.
Der aufsteigende Dampf meines Keilers, Schweiß und Adrenalin vermischen sich mit regennasser Luft und steigen in weichen Schwaden aus dem Mais in den Wolken verhangenen Himmel.


Mit Blick dorthin und gebrochener Stimme rufe ich, eher zurückhaltend als laut- Sau liegt.
Und ein weiteres Mal, sehr viel leiser, mit Blick auf ihn gerichtet- Keiler liegt.
Dieser besinnliche Augenblick, die Tränen der Erleichterung in den Augen, meinen Hund unverletzt im Arm zu halten, währte bedauerlicherweise nur sehr kurz.

Veiths augenblicklicher Lebenssinn besteht einzig und allein darin, sich meiner Umarmung mit aller Gewalt zu entziehen und seinen Keiler zu rupfen.

So recht mein Hund!


Die Fakten:
Keiler: aufgebrochen 130kg, Zwei Einschüsse, keine Ausschüsse
Waffe: R93 Professional mit Docter SightIII, Tusker Saufänger
Geschoss: RWS .30-06 UNI Classic 11,7gr.


 
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12 Dez 2009
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2.911
Waidmannsheil und HoRüdHo zum Keiler.
Viel Erfolg in der Waldjagdsaison und pass auf den Terroristen auf, er scheint nicht ganz frisch zu sein:no::)

Warum schießt du das UNI classic als HF auf DJ?
 
G

Gelöschtes Mitglied 11388

Guest
Kräftiges Waidmannsheil, traumhaft erzählt, mir blieb die Spucke weg!!
Danke für die Schilderung!!
 
Registriert
12 Okt 2011
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4.020
Waidmannsheil zum Lebenskeiler :cheers:

Echt klasse geschrieben dein Erlebnis. Weiter so :thumbup:
 
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11 Apr 2006
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4.563
Waidmannsheil :thumbup:


Tolle lebendige Erzählung !



WMH




Jäger:cool:
 
Registriert
14 Jun 2013
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137
Wahnsinns Geschichte, mir ist grad die Hirschsalami aus der Semmel gefallen, eine der Top 5!!

Waidmannsheil
 
Registriert
27 Apr 2005
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403
Kräftiges Waidmannsheil und grandiose Erzählung:thumbup::thumbup:

Was wird wohl nächstes Jahr sein?
 
Registriert
3 Dez 2008
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3.133
Waidmannsheil!!!

Super geschrieben. Ich konnte gar nicht aufhoeren zu lesen. Selten habe ich so mitgefiebert.
 
A

anonym

Guest
Danke für das Erlebnis!:thumbup::thumbup::thumbup:

... und ein dickes Weidmannsheil!
 
Registriert
25 Aug 2006
Beiträge
5.584
Na ja, nochmal gut ausgegangen.
Aber warum sind die Hunde dem gesunden Keiler soweit nach?Augenscheinlich hatte er ja keinen Schuß,warum sollte sich der Keiler da immer wieder stellen?
Warum wird da mit Schrot rumgeschossen?Warum wird die Waffe gespannt un dann rumgerannt?
Wo standen die anderen Schützen?Warum wurde nicht mehr Munition mitgenommen?
Ich wünsche dir alles gute und deinem Hund auch,aber für mich sieht das so aus als ob ihr da bei ner "suboptimalen Vorbereitung" noch gut rausgekommen seit.
Klär mich auf falls es anders sein sollte.
 

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