Mein erstes Jagderlebnis

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Im Mai 1983 hatte ich nach gut einjährigem Vorbereitungslehrgang glücklich die Jägerprüfung bestanden. Da ich seinerzeit noch nicht volljährig war, und der Jugendjagdschein mit Einschränkungen verbunden war, mußte ich mich noch einige Zeit gedulden. Meinen ersten Jagdschein löste ich exakt an meinem 18. Geburtstag.

Durch einen Fernsehbericht erfuhr ich, daß es in Österreich die Möglichkeit gäbe Jagd mit Urlaub zu verbinden. Vor Ungeduld brennend forderte ich nähere Unterlagen an, und es ergab sich daß ich wenige Wochen später in den Herbstferien – ich ging damals noch zur Schule – auf dem Weg nach Bischofshofen war. Nach mehrstündiger Fahrt über Stuttgart und München hatte ich den Grenzübergang Salzburg erreicht. Die seinerzeit noch existierende Grenzkontrolle stellte keine Schwierigkeit dar. Lediglich kurz Personalausweis- und Waffenbesitzkarte vorgezeigt und schon hatte ich die Bundesrepublik Deutschland verlassen. Nach einigen Kilometern empfing mich ein umwerfendes Bergpanorama. Stellenweise rückten die Berge so nahe an die Straße heran, daß man den Eindruck erhielt man befinde sich in einem Hohlweg. Zu beiden Seiten der Autobahn ragen dort die Felswände senkrecht in die Höhe.

Schnell waren die wenigen Kilometer bis zur Autobahnabfahrt Hallein – die Anschlußstelle Bischofshofen wurde erst zu Beginn der neunziger Jahre gebaut – zurückgelegt. Da ich grade zur Mittagszeit dort angekommen war, beschloß ich in einem kleinen, direkt an der dort fließenden Salzach gelegenen, Gasthaus das Mittagessen einzunehmen. Als ich in die Wirtshausstube eintrat, verschlug es mir augenblicklich den Atem. Die mit rustikalen Paneelen verkleideten Wände waren über und über mit Trophäen von Hirschen und Böcken behangen. Daneben fehlte es nicht an Präparaten von Murmeltier, Steinadler, Marder, Wieseln, Kolkraben usw. Jägerherz, was begehrst Du mehr?

Im nur wenige Minuten entfernten Bischofshofen angekommen, gestaltete sich die Suche nach meinem Gastgeber, den Brandtner Sepp unerwartet schwierig. Erst nach mehrmaligen befragen einheimischer hatte ich das Glück eine ältere Frau zu finden, die persönlich mit ihm bekannt war. So bog ich, mit zugegeben etwas mulmigem Gefühl, von der Hauptstraße ab um auf unbefestigten Wegen den Hof zu erreichen. Die Wege waren grade so breit, daß ein Auto sie passieren konnte. Wie sollte ich hier eventuellem Gegenverkehr ausweichen? Rechts von mir ging es steil bergauf, links von mir dafür steil bergab. Zu seiner Zeit war die Druckerschwärze meines Führerscheins zudem noch recht frisch und meine Fahrkünste nicht allzu erprobt. Glücklicherweise mußte ich mich nicht näher mit diesem Problem auseinandersetzen. Ich erreichte die mir als Orientierungspunkt genannte dritte Trafostation und bog links in den Wald ein. Nach etwa einem weiteren Kilometer war das Ziel erreicht.

Wie ich erfuhr lag der Bergbauernhof der Familie Brandtner in einer Höhe von ca. 1.100 Metern mitten im rund 1.000 ha großen Jagdrevier. Es handelte sich bei Brandtners um eine typische aus Altbauer und Altbäuerin, meine beiden Gastgebern und fünf Kindern zwischen drei und 15 Jahren bestehende bäuerliche Großfamilie. Die Aufnahme war äußerst herzlich und ich hatte das Gefühl, daß ich schon seit eh und je dazugehören würde. Natürlich interessierte mich das Thema Jagd am brennendsten. So brachte ich vorsichtig das Gespräch darauf. Prompt erhielt mein Eifer den ersten Dämpfer. Wir hatten in diesem Jahr einen wunderbaren Altweibersommer. Ende Oktober erreichten die Mittagstemperaturen Werte von mehr als 23 Grad. Leider war es grade dieses schöne Wetter, das für die Jagd ungeeignet sei, weil das Wild noch sehr hoch im Berg stehe. Außerdem sagte mir der Sepp, daß er im Moment nicht weg könne weil eine Kuh in Kürze kalben müsse. Bei dieser Kuh habe es bereits zweimal Probleme gegeben. Aber wenn ich wollte, könnte ich mich aber am Waldrand hinsetzen und Eichelhäher und Elstern schießen. Er könne mir eine Flinte leihen.

Da stand ich nun mit meiner überschäumenden Passion. Ich hatte meinen Drilling (Sauer 3000, 16/70, 7 x 57 R) dabei, daher war das leihen der Flinte nicht nötig. Den Drilling hatte ich gebraucht bei einem Büchsenmacher in der Nähe meines derzeitigen Wohnortes gekauft. Anhand der Beschußstempel ließ sich feststellen, daß dieser Drilling im Jahr 1965 staatlich beschossen wurde, meinem Geburtsjahr. Rein interessehalber fragte ich bei der Firma Sauer nach, ob sich das genaue Herstellungsdatum ermitteln lasse. Anhand der Seriennummer wurde dabei festgestellt, daß die Waffe exakt an meinem Geburtstag die Endkontrolle passiert hatte. Somit verbindet mich mit diesem Gewehr ein besonders inniges Verhältnis.

Der mir beschriebene Sitz am Waldrand befand sich etwa 800 m abseits des Wohnhauses und war somit unschwer zu erreichen. Es handelte sich um eine offene Leiter, von der aus ich einen wunderbaren Ausblick auf die Bergwelt hatte. Zu meiner Rechten erhob sich das Tennengebirge und mir gegenüber ragten die Hohe Tauern in den Himmel. Trotz der hohen Temperaturen lag auf den Gipfeln der Hohen Tauern noch Schnee. Durch die Sonneneinstrahlung erschienen die Gipfel daher strahlend hell. Mit meinen 18 Jahren schenkte ich diesen Naturschönheiten jedoch weit weniger Aufmerksamkeit, als dies heute – fast zwei Dekaden später – der Fall ist. Ich war im wesentlichen enttäuscht, daß ich mit meinem ersten Jagdgang noch warten mußte. Nicht nach Gams oder Hirsch stand mir der Sinn, ich wollte ganz einfach auf weibliches Rehwild waidwerken.

In den beiden nächsten Tagen saß ich so auf Eichelhäher und Elstern an und mußte lernen, daß auch die Erbeutung dieses Wildes so seine Tücken hat. Auf jeden Fall war meine Strecke bescheiden. Trotz Daueransitzes erlegte ich grade mal drei Eichelhäher, verschoß allerdings auch nur drei Patronen. Meistens war ich ganz einfach zu langsam und die Beute schon wieder weg, wenn ich endlich fertig war. Den ersten Häher habe ich mir präparieren lassen. Er hängt während ich diese Zeilen niederschreibe an meiner Wand und erinnert mich an meine erste Jagd.

Am dritten Tag war es endlich soweit. Der Sepp sagte mir morgens beim Frühstück, daß die Kuh in der Nacht gekalbt hätte und wir heute gegen 14 Uhr losgehen könnten. Selbstverständlich war ich pünktlich fertig. Mit meinem R4 ging’s über die kurvenreiche Waldstraße noch etwa einen Kilometer aufwärts. Anschließend mußten wir zu Fuß weitergehen. Mein Führer legte ein flottes Tempo vor und so hatte ich – trotz meiner Jugend – einige Mühe mit ihm Schritt zu halten. Unterwegs passierten wir verschiedene Hochsitze, doch Wild kam nicht in Anblick. Lediglich einen Haselhahn kreuzte unseren Weg, da ich jedoch ständig mit meinem Puls zu kämpfen hatte, sah ich ihn grade noch verschwinden. Nach etwa zwei Stunden anstrengenden Marsches sagte Sepp: „Da oben müss‘ mer rauf“, und wies auf einen imaginären Punkt, den ich nicht so recht erkennen konnte. Eine halbe Stunde – gegen 16,30 Uhr - später legten wir an einer Quelle eine kurze Rast ein. Das frische, eiskalte und kristallklare Bergwasser schmeckte nach dem vorangegangenen, schweißtreibenden Aufstieg einfach wunderbar. Viel besser, als jegliches heute mit chemischen und biogenetischen Mitteln hergestellte Gebräu.

Lange hielten wir uns jedoch nicht auf, denn Sepp drängte wieder zum Aufbruch. Wie er mir versicherte wären wir gleich da. In der Folge erfuhr ich, daß dieses „gleich“ weitere zwei Stunden aufsteigen bedeutete. Als ich schon glaubte, nicht mehr weiter zu können bedeutete mir mein Führer zurückzubleiben. Tatsächlich! Direkt vor uns befand sich eine Leiter. Schnell erstieg er diese und bedeutete mir umgehend, daß ich nachkommen solle. Oben angekommen sah ich, daß mitten auf einer von Kiefern gesäumten ca. 200 x 200 Meter großen Wiese drei Stück Rehwild ästen, die Sepp als Ricke mit zwei Kitzen ansprach. Eines der beiden Kitze war selbst im Winterhaar ohne größere Anstrengung als ausgesprochen schwach zu erkennen. Die Decke erschien ruppig, während die Ricke und das andere Kitz eine völlig glatte Decke hatten. Dieses Kitz sollte ich schießen. Schnell war der Drilling von der Schulter, auf Kugel umgestellt, entsichert und eingestochen. Die Vergrößerung des Zielfernrohres (Schmidt & Bender 1,5 – 6 x 42) stelle ich auch heute noch während der Pirsch grundsätzlich auf die niedrigste Vergrößerung ein. So habe ich aufgrund des großen Sehfeldes die Möglichkeit sich kurzfristige bietende Chancen auch schnell zu nutzen.

Die Schußentfernung betrug etwa 100 Meter und ich hatte auf den beiden an die Bäume genagelten Querlatten eine gute Auflage. Das Licht reichte noch um mit der 1,5fachen Vergrößerung zu schießen. Lediglich das Kitz wollte mir den Gefallen nicht tun sich breit zu stellen. In der kurzen Zeit, die ich benötigte um schußfertig zu werden, war das Stück weitergezogen und stand nun hinter der Ricke. Für mich erkennbar waren lediglich die Dünnung und die Keulen. Warten war demnach angesagt. Zu allem Überfluß begann jetzt auch noch das Jagdfieber mich zu schütteln. Bisher hatte ich angenommen, gegen diese Phänomen gefeit zu sein. Weit gefehlt. Gefühlsmäßig war ich der Meinung, die Leiter müsse sich wackeln. Ganz so schlimm war es aber in Wirklichkeit nicht. Also zunächst einmal tief durchartmen. Wo war das Kitz? Es stand zwar jetzt völlig frei, aber spitz von hinten und zeigte mir die Keulen. Nach geraumer Zeit zog es langsam vorwärts auf das andere Kitz zu. Zwar stellte es sich jetzt breit und zeigte mir das Blatt, aber höchstens einen Meter dahinter befand sich das andere Kitz. Zwischenzeitlich wurde es dämmrig, aber noch reichte das Licht für einen sicheren Schuß. Was war das? „Mein“ Kitz tat sich seelenruhig mitten auf der Fläche nieder. Sollte es, das Ziel vor Augen trotzdem nicht klappen? Ein Blick zu Sepp, er flüsterte mir zu, daß er absteigen und unten ein paar Äste knacken lassen wolle. Ich müsse aber sofort schießen, wenn das Wild hoch werde sonst sei es weg. Ich stellte die Vergrößerung auf vierfach und ging ins Ziel. Gesagt, getan. Sepp baumte ab und kurz darauf hörte ich unten einige Geräusche. Alle drei Stücke sicherten in unsere Richtung. Langsam begann die Gais wegzuziehen, das stärkere Kitz im Gefolge. Nun wurde „mein“ Kitz hoch und schon war der Schuß (9,7g Nosler) draußen. Der Blattschuß ließ es auf der Stelle verenden. Wenige Minuten später hatten wir die 130 Meter bis zum Stück zurückgelegt. Stolz nahm ich meinen ersten Bruch und das Waidmannsheil entgegen. Das Aufbrechen ging zwar ziemlich unbeholfen, aber natürlich habe ich es mir nicht nehmen lassen, die rote Arbeit selbst zu verrichten. Schnell war das nur 7 kg schwere Kitz im Rucksack verstaut. Zwischenzeitlich war es völlig dunkel geworden.

Den Rückweg bewältigten wir in knapp zwei Stunden. Bergab helfen eben alle Heiligen. Ich hatte allerdings wiederum reichlich Mühe dem flotten Tempo des Jagdherren zu folgen ohne ins Straucheln zu geraten. Hier habe ich gelernt, wie hilfreich ein Bergstock sein kann. Bei allen Jagden im Gebirge habe ich ihn niemals vergessen.
Zu Hause angekommen erzählte er mit, daß wir an höchsten Punkt des Reviers – in rund 1.750 Meter Höhe – gewesen waren. Wir hatten also in viereinhalb Stunden rund 650 Höhenmeter überwunden. Ich hätte nie geglaubt, daß ich zu einer derart sportlichen Leistung fähig gewesen wäre. Ich vermute jedoch, daß wäre ich alleine gewesen der innere Schweinehund die Oberhand gewonnen hätte.

Am nächsten Tag änderte sich das Wetter und die Schneefallgrenze sank auf 1.600 Meter. Von meinem Zimmer aus konnte ich die Stelle, an der ich gestern zu meinem ersten Stück gekommen war sehen. Sie war völlig verschneit. Diana hatte es gut mit mir gemeint. Zurück blieb die Erinnerung an ein einmaliges Erlebnis und das Versprechen wiederzukommen. Leider hatte es das Schicksal anders vorgesehen. Zwei Jahre später erreichte mich die traurige Nachricht, der Sepp sei im Winter im Holz von einen Baum erschlagen worden. Als ich im letzen Jahr mit meiner Familie in Kärnten Urlaub machte, habe ich sein Grab besucht. Mehr als einen Strauß Blumen niederzulegen und einen stillen Dank auszusprechen konnte ich leider nicht mehr tun. Die Erinnerung an mein erstes Jagderlebnis aber lebt weiter - auch wenn es "nur" ein Kitz war.

Waidmannsheil Andreas
 
A

anonym

Guest
Eine sehr schöne Geschichte,
wenn auch mit einem traurigen
Ausgang, der zum Nachdenken
anregt.
 
Registriert
14 Aug 2002
Beiträge
893
Herzlichen Dank für die schöne Geschichte.

Man könnte fast meinen, selber mit auf den Berg gestiegen zu sein, so real schien einem alles! Das sind halt die Geschichten, die nur das Leben schreiben kann!
Alles sieht man mit einem lachendem und einem weinenden Auge. Aber trotzdem erinnert man sich gerne!
 

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