Sauen im Feuer

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Es ist Vollmond. Die Nacht ist hell, doch nicht zu hell. Ein Wolkenschleier mildert den Kontrast zwischen tiefschwarzen Schatten und kaltem Licht. Die schweren Steinbrocken auf der Lichtung sind gut zu erkennen. Unter jedem liegt eine Handvoll Maiskörner. Die Schweine werden auf ihrem Zug durch die Nacht die Kirrung kontrollieren. Fragt sich nur wann.

Wenn sie kommen, sind sie nicht zu überhören. Es knackt und prasselt im Unterholz, Frischlinge quieken, die Bache grunzt und bläst. Und sie prüft den Wind. Wenn der vom Hochsitz zu ihr herüberweht, es muss nur ein ganz leises, kaum spürbares Lüftchen sein, dann wird der Jäger umsonst darauf warten, dass die Rotte die Kirrung annimmt.

Doch der Wind steht gut, er weht vom Schwein zum Jäger. Und plötzlich ist die mondbeschienene Lichtung bevölkert von einer ganzen Schweineherde. Jetzt braucht der Jäger kühles Blut. Er sucht sich das kleinste Schweinchen aus, das ist nie verkehrt. Wartet bis es frei und breit steht, bringt den Zielstachel des Zielfernrohres etwa auf die Mitte des vorderen Schweinedrittels und schießt, möglichst ohne dabei zu mucken und im Schuss zu blinzeln, denn es ist ratsam durch das Zielfernrohr das weitere Geschehen zu verfolgen.

Liegt die Sau im Feuer? Ergibt sich die Chance, eine zweite Sau zu erlegen? In welche Richtung rennt das beschossene Stück, «zeichnet» es? Wenn alles gut geht, ist das Schwein mausetot, der Jäger findet es sofort, weidet es an Ort und Stelle aus, und ein paar Tage später verbreitet sich köstliches Bratenaroma im Jägerhaus.

Tausendfach spielt sich diese Szene in Deutschland in den Nächten um Vollmond ab. Mehr als 400 000 Wildschweine werden auch in diesem Jahr wieder erlegt werden. Nur die Rehwildstrecke ist bei den großen Wildarten noch höher. Sie liegt seit vielen Jahren bei etwa einer Million.

Bei den Wildschweinen allerdings brachten die vergangenen zwanzig Jahre eine Explosion der Population wie der Jagdstrecke. 150 000 Wildschweine wurden vor zwanzig Jahren geschossen. Jetzt sind es drei Mal so viel. Die Gründe für diese Entwicklung sind komplex. Doch ohne den Wandel der Landwirtschaft, vor allem den großräumigen Anbau von Mais und die Erwärmung des Klimas wäre das Schweinewunder nicht denkbar. In riesigen Maisschlägen können ganze Schweinevölker lange Zeit ungestört wie Gott in Frankreich leben. Und harte Winter, die mit Dauerfrost die Sauen in tödliche Hungersnot stürzen, gab es lange nicht. Ein Übriges tat falsches Jagen. Unter dem Druck riesiger Wildschäden in der Landwirtschaft suchten manche Jäger das Heil in wahllosem Abschuss ohne Rücksicht auf die Sozialstruktur der Rotten. Wenn aber die Leitbache tot ist, verdrehen selbst weibliche Frischlinge den Keilern den Kopf. Und das noch zu jeder Jahreszeit. Die Folge: Heute findet man zu jeder Zeit alle Altersklassen von Wildschweinen und selbst im Spätherbst kann man nicht mehr sicher sein, dass es nicht um die totgeschossene Bache karnickelgroß und gestreift herumwuselt.

Wenn in einer Region dann noch die Schweinepest zur Sauenschwämme hinzukommt, dann wird das edle Weidwerk vollends zur Schädlingsbekämpfung im Dienst der Volksgesundheit und der Landwirtschaft. Um Romantik geht es dann nicht mehr. Nur noch um Effizienz. In manchen Bundesländern erwägt man, für die Jagd auf Sauen künstliche Lichtquellen zu erlauben.
Berliner Morgenpost
 

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