Moin!
Hat etwas gedauert, aber jetzt - versprochen ist versprochen.
Vorbemerkung: ich erhebe keinen Anspruch darauf, den "Stein der Weisen" gefunden zu haben, jedes kleine Detail zu berücksichtigen oder immer sowohl Deichbeweidung an der Nordsee, Almbetrieb UND Wanderschäferei im Mittelgebirge gleichzeitig zu behandeln. Den Lesern traue ich zu, zu erkennen, was z.B. bei ihnen in der Region gehen könnte und was nicht. Außerdem gehe ich davon aus, dass es im Laufe der nächsten Jahre keine grundlegende Änderung der rechtlichen Situation geben wird - dazu kenne ich die Verfahrensgänge in D und der EU zu gut. Gleichzeitig muss man davon ausgehen, dass Wölfe jetzt schon (und auch später, sollte es sowas wie "ausgewiesene 'wolfsfreie' Zonen" irgendwo geben) überall auftreten können. Die Reihenfolge, in der ich hier jetzt etwas aufschreibe, ist keine Wertung oder sonstwas, nur "brainstorming". Und wenn ich irgendetwas als Ziel erstrebenswert halte schreibe ich das explizit dazu.
Was rätst DU konkret den geplagten Viehaltern, die von allen Seiten Druck bekommen?
In Bezug auf Wölfe?
1 - Lasst Euch nicht kirre machen. Wölfe sind medial omnipräsent, real nicht.
2 - Schützt eure Schafe so gut es mit den euch zur Verfügung stehenden Mitteln geht. Oft reichen Kleinigkeiten - Bsp.: in einem Fernsehbeitrag über den ersten Wolfsnachweis in BW wurde ein Schäfer gezeigt, der seinen Netzzaun direkt am Fuß einer Straßenböschung aufstellte: das ist falsch. Bleibt deutlich von der Böschung weg, dann fällt das Überspringen des Zaunes nicht so leicht. Strom etc. sollte selbstverständlich sein. Schafe ganz eng einzupferchen ist auch riskant - wenn die einem Wolf draussen nicht im Zaun ausweichen können brechen die zu leicht aus.
3 - Holt euch entsprechende Tipps und Hilfen auch ruhig beim NANU und Co. Die haben auch Leute in ihren Reihen, die selber Vieh halten (ohne es ersaufen zu lassen) und die sich damit auskennen. Man muss ihren "Glauben" nicht annehmen, aber ihre Hilfe darf man nutzen.
4 - Achtet bei Neuanschaffungen darauf, dass die Schutzwirkung steigt. Lieber einen höheren Zaun, z.B.
5 - Bei Rassenwahl achtet darauf, ob die Rasse eventuell Eigenarten hat, die zu einer bestimmten Haltungsform passen oder die das Risiko erhöhen. Es gibt Unterschiede bei z.B. Fleischrinderrassen und @tomrer hat kürzlich was zu dem Thema bei Schafen eingestellt.
6 - Meldet Risse. Nur so wird der auch in der entsprechenden Statistik aufgeführt und nur dann DARF ggf. eine Behörde etwas tun oder veranlassen. Ein nicht formal korrekt bekanntes Problem existiert für Behörden etc. nicht.
7 - Überlegt euch, ob ihr zusammenarbeiten könnt, gerade als Nebenerwerbsbetriebe im Mittelgebirge. 30 Kühe auf einer großen Weide sind was Anderes als 5x je 6 Kühe auf kleinen Weiden direkt am Waldrand.
In Bezug auf den Druck von verschiedenen Seiten?
8 - Nutzt den Wolf als Argumentationshilfe für / gegen was, was ihr wollt / nicht wollt.
9 - Seid solidarisch: kein (aus anderen Einkommensquellen querfinanzierter) Nebenerwerbsbetrieb sollte z.B. Beweidungsleistungen zu Konditionen anbieten, die für Berufsschäfer gerade so am Existenzminimum liegen.
10 - Es ist davon auszugehen, dass der Druck GEGEN die Viehhaltung generell und gegen die Freilandhaltung speziell bei Rindern in den nächsten 10 - 20 Jahren noch weiter anwachsen wird, aus verschiedenen Gründen (Stickstoff, Stickoxide, Methan, ... ). Was da ggf. kommt ist derzeit noch unklar, aber wenn es verordnet werden sollte wäre der Wolf als "Argumentationshilfe" hinfällig.
Wie glaubst DU konkret, das die Jäger mit dieser Problematik umgehen sollen?
Sozuveräner und professioneller. Es gibt keinen Konsens unter Jägern pro / kontra, also dürfte sich auch kein Verband einseitig positionieren. Abgesehen davon, dass bei der aktuellen Gesetzeslage eine klare "kontra"-Position die Anerkennung als Naturschutzverband gefährdet.
Daneben wäre IMHO sinnvoll:
1 - Mithilfe bei Monitoring und Forschung (ja, läuft ja schon, teils auch sehr gut ...): keine weissen Flecken beim Monitoring, Unterstützung z. B. von Telemetrieprojekten, Hindrängen auf genetische Untersuchungen zum NACHWEIS des Austauschs mit z. B. der baltischen Population und Bestimmung des Umfangs desselben, damit man fachlich und juristisch belastbar entscheiden kann, ob eine getrennte Population in Zentraleuropa vorliegt (mit nur gelegentlicher "Fremdbestäubung") oder eben nicht. Ähnliches gilt für die Wechselwirkungen Wolf / Rotwild (Rehwild, ...), da sind echte, belastbare Ergebnisse rar.
2 - Anerkennung und Kommunikation der sachlichen Probleme bei der Definition, Identifizierung und Entnahme von Problemwölfen.
3 - Umfangreiche Fortbildung in den eigenen Reihen. (oder einfach weniger dumme Sprüche am Stammtisch und in Foren)
4 - ...
Was würdest DU konkret machen, wenn Deine Tiere tot dalägen und irgend ein "Semioffizieller" etwas von Gentest und blablabla, Formular 08/15 und ...warscheinlich ein wildernder Hund brabbelt?
Schwierig zu beantworten, da ich ich bin und kein Viehhalter. Angenommen, ich hätte per Erbschaft, Schenkung oder Pech plötzlich die Verantwortung für Vieh im Nebenerwerb:
Erstmal würde ich laut "Sch...!" rufen, dann, falls der Gutachter wirklich so anfinge, selbigem freundlich klarmachen, dass er ja dazu da ist, herausfinden zu helfen, welcher Teil der Wahrscheinlichkeit hier realisiert wurde. Spass würde mir das nicht machen, aber "shit happens".
Wie würdest DU konkret diesen Konflikt im ländlichen Raum entschärfen?
Das hat mehrere Ebenen:
"Dieser Konflikt" ist zumindest hier teilweise ein Stellvertreterkonflikt, in dem der Wolf zum Sündenbock für eine generelle Unzufriedenheit und ein Vernachlässigungsgefühl bestimmter Personen im ländlichen Raum herangezogen wird. Da kann ich nichts machen, das ist ein psychologisches Problem. Wären die Wölfe weg würde gegen die Zugezogenen, die Städter, ... geredet ...
Für die Viehhalter befürworte ich seit jeher Zuschüsse zu den Schutzmaßnahmen und einfache, unbürokratische Entschädigungen. Parallel würde ich die Dienstleistung "Beweidung" so bezahlt sehen wollen, dass man davon auch vernünftig leben kann und es zumindest finanziell egal ist, ob mal ein Schaf gerissen wird oder nicht. Gleichzeitig würde ich aber auch z.B. Leuten, die immer noch im Wolfsgebiet Schafe und Rinder anpflocken, selbst das Halten von Goldfischen verbieten.
Auch wer der Habituierung Vorschub leistet bekäme, ginge es nur nach mir, Ärger. Vergrämung mit nichtletalen Mitteln (zum Beispiel Zwille mit Eicheln als Geschoss) durch Jedermann wäre hingegen explizit erwünscht.
Hier bei uns hat es eine einfache Regel:
25 Risse innerhalb eines Monats und 35 Risse innerhalb von vier Monaten --> bumm
Mit oder ohne Schutz?
Das Schema unterteilt das Verhalten der Grossraubtiere in «unbedenklich», «auffällig», «unerwünscht» und «problematisch». In letztere Kategorie fallen sieben Verhaltensarten, die einen Abschuss rechtfertigen:
• Der Wolf taucht mehrfach während der Aktivitätszeit des Menschen (6 bis 22 Uhr) in einer Siedlung auf.
Wie ist die Siedlung definiert bzw. abgegrenzt? Wir haben in Norddeutschland teilweise eine derartige Streusiedlung, da stehen alle 200m ein Haus oder zwei. Die Dörfer hier in BB oder Nordsachsen sind teils durch große Grundstücke und / oder Anschluss an Wälder oder Felder für Wildtiere fast wie das Umland.
• Der Wolf folgt dem Menschen trotz dessen Versuchen, ihn zu vertreiben.
O.k., wenn das mehrfach passiert. Neugierige Welpen machen das auch eventuell ein, zwei Mal und hören damit auf, wenn sie nicht "belohnt" werden. Die müsste man nicht schiessen.
• Der Wolf nähert sich zwischen 6 und 22 Uhr in offenem Gelände Menschen an und bleibt mehrere Minuten in einer Distanz von weniger als 50 Metern.
Das können neugierige Welpen auch machen, ohne dass das gefährlich wäre und das kann auch passieren, wenn die Wölfe den Menschen nicht mitbekommen haben. Ich würde da deshalb ergänzen: "obwohl versucht wurde, ihn zu verscheuchen".
• Der Wolf nähert sich zwischen 6 und 22 Uhr in einer Siedlung dem Menschen an und lässt sich nur schwer vertreiben.
d'accord, aber Einzelfallbewertung: passiert das mehrmals --> "bumm", ist das erkennbar ein Jungtier, dass sich aber vertreiben lässt: erst bei Wiederholung "bumm"
• Der Wolf nähert sich dem Menschen mit Hunden an und reagiert mit Drohverhalten oder Angriff auf die Hunde.
d'accord
• Der Wolf tötet einen Haushund in einer Siedlung.
Hängt davon ab - wenn in einer Streusiedlung jemand einen Hund auf dem Grundstück über Nacht draussen ankettet (in der Lausitz geschehen), dann ist am Ausgang nicht der Wolf Schuld.
• Der Wolf reagiert unprovoziert aggressiv auf den Menschen – mit Drohgebärden oder einem Angriff.
Das sollte selbstverständlich sein.
Viele Grüße
Joe