Von alten Freundschaften

steve

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Als mein Hand klingelt sitze ich gerade am Schreibtisch und bin am arbeiten. Ein Blick aufs Display verrät mir den Anrufer. Es muss um die Jagd gehen, denke ich noch und gehe ran. „Na Du fauler Jäger“, tönt es aus dem Telefon, „heute abend um sechs bei uns. Johannes hat auch zugesagt, es gibt keine Widerrede.“ Dermaßen überrumpelt sage ich zu, packe meine Siebensachen und mache mich in Richtung Heimat.

Der Anrufer ist der Vater eines ehemaligen Kommilitonen von Johannes und mir. Früher waren wir zu dritt oft jagdlich unterwegs, haben allerhand Quatsch gemacht, viele Wochenenden auf diversen Jagdhütten verbracht und selbstverständlich richtig wild gejagt. Dies nahm mit einem Autounfall bei dem unser Freund ums Leben kam ein jähes Ende.

Vielleicht ein halbes Jahr nach dem Unfall meldeten sich die Eltern unseres Freundes zum ersten Mal bei uns, um uns zur Jagd in ihr wunderschönes Revier einzuladen. Wir als Studenten nahmen solch ein großzügiges Angebot gerne an, allerdings nicht ganz ohne schlechtes Gewissen, bekamen wir in dem sehr gut besetzten Hochwildrevier von Anfang an freie Büchse im Rahmen des Abschussplans. Irgendwann vereinbarten wir während einer Heimfahrt uns selbst eine eigene jagdliche Grenze zu setzen, da wir uns irgendwie nicht dem Gefühl erwehren konnten aus dem Tod des Freundes zu profitieren.

Seit dieser Heimfahrt waren wir noch sehr oft im Revier, hatten immer reichen Anblick und oft auch Waidmannsheil. Lediglich unsere Ansitzberichte wurden um diesen oder jenen Hirsch, Keiler oder Muffelwidder gekürzt der erschienen war, aber pardoniert wurde.

Und so kommt es, dass ich kurz vor fünf bei Johannes vor der Tür stehe, er seine Sachen bei mir ins Auto schmeißt und wir unserem jagdlichen Paradies entgegenfahren. Das Auto brummt brav über die Autobahn, an Frankfurt vorbei durch den Berufsverkehr und die gut 120 Kilometer vergehen wie im Fluge. Seit Ende des Studiums sehen wir uns nur noch sehr selten und haben uns deshalb viel zu erzählen.

Als wir am Ziel ankommen wartet schon ein reich gedeckter Abendbrottisch auf uns. Wir werden auf Stühle gedrückt, die Gläser werden gefüllt und wir sollen zwischen Pils, Hausmacherwurst und Bauernbrot mal eben noch so zusammenfassen wie es uns im letzten halben Jahr seit unserem letzten Besuch ergangen ist.

Schließlich bläst der Hausherr zum Aufbruch, der Drahthaar jault bereits als er den Jeepschlüssel in der Hand seines Chefs sieht und schon geht es raus in das herrliche Revier. Auf der Fahrt erklärt uns der Jagdherr schnell noch die aktuelle Lage. Rotwild wie immer hervorragend, Sauen satt, Muffelwild im Moment wohl nicht da und Rehwild natürlich ebenfalls vorhanden. Schließlich gibt er vom Fuchs bis zum „zwobee“ alles frei was der Jagdschein erlaubt und schmeißt mich an meinem Stammplatz raus.

Kurz lausche ich noch dem Brummen des davonfahrenden Jeeps und nehme dann den feinsäuberlich freigeharkten Pirschweg zu meiner Kanzel an. Ich sitze, wie immer in diesem Revier, auf der „Huh“. Es handelt sich um eine Kanzel an einer langgezogenen Waldwiese. Mein Sitz steht an der nördlichen Stirnseite. Vor mir schlängelt sich die Wiese cirka 400 Meter durch den Wald, eingerahmt von einem dicken Gürtel aus undurchdringlichen Schlehen. Hier und da stehen am Rande alte Apfelbäume. Die Randeichen sind meistens hervorragende Mastbäume und nicht selten hat man an diesem Fleck alle vier Schalenwildarten des Reviers bei einem Ansitz vor.

Nachdem ich meinen Sitz erklommen und mich eingerichtet habe, wage ich einen ersten Rundumblick. Ungefähr auf der Hälfte der Wiese steht bereits ein Stück Rehwild und äst friedlich vor sich hin. Der Blick durchs Spektiv offenbart einen Jährlingsgabler. Nichts was direkt nach dem Aufbaumen gleich meinen Beutetrieb wecken würde.

So lehne ich mich zurück, atme tief durch und freue mich an der vollständigen Ruhe dieses Reviers. Kein Auto, kein Flugzeug, um ehrlich zu sein kein menschliches Geräusch stört die Idylle. Ein paar Grünfinken zirpen um mich herum, ein Bussard streicht die Wiese entlang und irgendwo klopft ein Specht. Wirklich herrlich ist das hier.

Mittlerweile ist der Jährling näher gekommen, auch eine Gais mit zwei prächtigen Kitzen ist ausgetreten und auf eine gute Schrotschusslänge rechts von mir, mümmeln zwei Hasen fröhlich ihren Löwenzahn vor sich hin. Ganz am anderen Ende der Wiese steht ein weiteres Stück Rehwild, aber selbst mit dem Spektiv lässt sich nicht genau sagen, um was es sich handelt. Zu hoch ist dort am Rand der Bewuchs. Schließlich versinkt die Sonne als roter Feuerball und nur die oberste Spitze der Randeichen links neben mir bekommt noch ein paar Sonnenstrahlen ab.

Aus der Ferne rollt ein Schuss übers Tal. Sollte das Johannes gewesen sein? Die Richtung müsste in etwa stimmen. Es dauert vielleicht zehn Minuten, dann erhalte ich per SMS die frohe Kunde. Ein schwacher Rotspießer liegt. Eine zwar sehr unromantisch übermittelte Information, aber sie beruhigt doch sehr.

Eine Viertelstunde später knackt es rechts von mir im Bestand. Dann meine ich Stangenschlagen zu hören. Darauf folgt Stille. Schließlich erspähe ich vor mir eine Stange zwischen den Schlehen, dann werden es zwei, dann folgt der ganze Hirsch. Ein junger Kronenhirsch ist es, soviel kann ich sehen, doch bevor ich die Enden zählen kann folgen ihm zwei weitere Hirsche. Ein Eissprossenzehner und ein gerader Achter. Alle drei wirken nervös. Sie ziehen äsend auf meinen Sitz zu und verhoffen schließlich keine zwanzig Schritt vor mir. Was für ein Anblick! Ich wage kaum zu atmen. Nachdem sie längere Zeit hinter sich in den Bestand gesichert haben, ziehen die drei Junggesellen langsam und immer wieder äsend rechts von mir in den Bestand.

Ein Rundumblick bestätigt mir nur den Gabler der jetzt auf achtzig Meter brettelbreit auf der Wiese steht und ebenfalls in den Bestand äugt aus dem die Hirsche kamen. Was sich darin wohl bewegt? So angespannt ich auch in den Bestand lausche, ich kann kein Geräusch vernehmen.

Schließlich gebe ich auf und lehne mich wieder zurück,als fast unter meinem Sitz ein Ast in den Schlehen bricht. Da ist etwas. Das war eindeutig. Mein Pulsschlag beschleunigt sich schlagartig. Ich beuge mich nach vorne, um über die Brüstung des Sitzes schauen zu können. Keine Sekunde zu früh, denn ein Blick steil nach unten zeigt eine am Rande der Hecke verhoffende Sau. Bache? Keiler? So steil von oben, spitz von hinten im hohen Randbewuchs kann ich das Stück nicht ansprechen.

Nach endlosen Augenblicken zieht die Sau vor mir in die Wiese. Nun, im niedrigen Gras kann ich das Stück als Überläuferkeiler ansprechen. Der passt! Vor Aufregung bebend angele ich die Waffe aus der Ecke und richte mich ein. Durch das Zielfernohr verfolge ich das Keilerchen wie es mit dem Wurf alte Grasreste, wohl auf der Suche nach Insekten oder Mäusen umdreht. Immer noch steht die ersehnte Beute spitz von mir weg. „Dreh Dich doch!“, bete ich innerlich vor mich hin. Im gleichen Augenblick tut er mir den Gefallen. Das Absehen saugt sich hinter dem Blatt fest. Krachend verlässt das Geschoss den Lauf. Der Überläufer zeichnet, macht eine neunzig Grad Wendung und rennt auf mich zu. Seine Fluchten werden kürzer und etwa an der Stelle wo er austrat, rutscht er nun ins sich zusammen und verschlegelt.

Fahrig repetiere ich, angele mein Glas und betrachte mir meine Beute. „Wahnsinn! Einmal rausgegangen und gleich Waidmannsheil gehabt...“ Ich bin überglücklich. Jagdlich bin ich in diesem Jahr wegen ständigen Zeitmangels noch nicht verwöhnt worden. Umso schöner ist dieser erfolg hier an meinem alten, liebgewonnenen Stammplatz.

Nach Einbruch der Dämmerung werde ich abgeholt. Hinten im Jeep müssen sich Spießer und Drahthaar bereits die Ladefläche teilen. Den Hund bekommt Johannes dann auf dem Beifahrersitz zwischen die Beine und meine Wutz kommt zur Abrundung des Bildes neben das Hirschlein. Johannes und ich grinsen uns mit unseren Eichenbrüchen am Hut an. Das hat ja spitzenmäßig geklappt.

Bei unserem Gastgeber angekommen springt dieser schnellstens aus dem Wagen und verschwindet im Haus. „Marianne, die Kerle schießen mir mein ganzes Revier leer“, hören wir ihn von drinnen lautstark poltern, bevor er mit drei Fläschchen Bier und einer Flasche Steinhäger wieder erscheint. Doch bevor wir uns damit erfrischen dürfen bekommen wir von der Frau des Jagdherren zwei alte Hörner in die Hand und verblasen unsere Strecke, während der Drahthaar den Text jault. Wie immer bei der Kombination Hörnerklang und zugehörigem Hundegesang bekomme ich Gänsehaut.

Nachdem wir unsere Beute wohlversorgt in der Wildkammer hängen haben, sitzen wir noch mit unsern Gastgebern in der Küche, müssen immer wieder unsere Geschichten vom heutigen Abend erzählen und besonders gerne hören die beiden die alten Geschichten, in denen wir das Revier noch zu dritt „leergeschossen“ haben.

Alles in allem war es ein wunderschöner Abend, der mir mal wieder klargemacht hat wie schön es abseits meines Schreitisches und meiner Bücher sein kann.

Waidmannsheil

Steve
 
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21 Jan 2006
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Waidmannsheil!

Oh Mann... ich muss auch unbedingt mal wieder jagen ;) weiß schon gar nicht mehr, wie man das überhaupt schreibt 8)
 
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22 Feb 2005
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Jagdhornbläser und das Horn nicht dabei??? Schande über Dich!!!1 :wink:

Im Ernst: Eine sehr schöne Jagdeschichte wie sie das Leben schreibt!

Kräftiges Waidmannsheil!!!!!!!!
 
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13 Nov 2003
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Auch von mir Waidmannsheil.
Es ist doch immer schön wenn man bei Freunden willkommen ist und dann auch noch so erfolgreich jagen darf-kann. Habe selber zwei Jagdfreunde zu denen fahre ich schon 20 Jahre. Einziger Nachteil 850 und 1100 km entfernt. Aber selbst Schuld, ich mußte ja auf die Insel ziehen. :lol:
Viele Grüße
Andreas
 
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31 Jan 2002
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waidmannsheil,
das sind doch schöne erlebnisse, auch wenn sie einen traurigen "ursprung" haben!
noch viele schöne, erlebnisreiche und dann auch strecke bringende abende/ ansitze ...
 

doa

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23 Aug 2001
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Schön erzählt, weiter so!
Eine noble sehr rührende Art das Andenken an den Sohn zu pflegen, in dem man in seinem Sinne weitermacht und sicherlich auch sehr erfüllend, wenn man sich dabei auch so freuen kann.
 
Registriert
16 Jul 2001
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und sicherlich auch freuen sich die Eltern eures Freundes wenn ihr wiederkommt. Wird doch auch so ein Andenken gehalten.
Freundschaft. ein schönes Wort mit Wert.
Waidmannsheil
 

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